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Larissa Greul studiert seit 2018 im Bachelor Soziologie, Politik und Wirtschaft an der Zeppelin Universität mit Auslandsaufenthalt an der University of California, Berkeley. In ihrem Studium hat sie sowohl ein Interesse für internationale Politik und Diplomatie entwickelt als auch für feministische Theorien. Diese beiden Schwerpunkte hat sie in ihrem Humboldtprojekt vereint, indem sie die Geschlechterverhältnisse im höheren Auswärtigen Dienst der Bundesrepublik Deutschland qualitativ untersucht hat.
Eine 2018 veröffentliche Studie von ZEIT ONLINE fand heraus, dass es in der Bundesrepublik Deutschland seit 1949 mehr Staatssekretäre gab, die Hans hießen, als Staatssekretärinnen insgesamt. Die Studie beleuchtet den öffentlichen Dienst in Deutschland und stellt fest, dass es in den meisten Ministerien ein Defizit an Frauen gibt. Interessanterweise ist der Grund dafür aber nicht, dass keine Frauen in den Ministerien arbeiten würden. In 20 der 23 obersten Bundesbehörden sind mehr als 50 Prozent Frauen beschäftigt. Das Defizit zeichnet sich in den Führungsebenen ab. Von den 23 Behörden weisen lediglich das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ), das Bundesverfassungsgericht und das Sekretariat des Bundesrates einen Frauenanteil von über 50 Prozent in Führungspositionen vor. Das Auswärtige Amt hingegen ist das Ministerium mit dem niedrigsten Anteil an Frauen in Führungspositionen.
Diplomatie scheint allerdings weltweit ein eher männlich geprägtes Berufsfeld zu sein. 2014 waren 85 Prozent der diplomatischen Vertreterinnen und Vertreter der 50 Länder mit dem höchsten Bruttoinlandsprodukt männlich. Der ehemalige amerikanische Diplomat Shawn Dorman beschrieb die Persönlichkeiten, die man im American Foreign Service antraf, seiner Zeit als „Male, Pale and Yale“. Betrachtet man aktuelle Statistiken, kann man im Auswärtigen Dienst Deutschlands eine ähnliche Bilanz in Bezug auf das Merkmal Geschlecht ziehen. Zwar waren nach Stand 2016 Frauen im mittleren und gehobenen Dienst des Auswärtigen Amts in der Mehrzahl. Im höheren Auswärtigen Dienst jedoch waren 65,5 Prozent der 1.744 Mitarbeitenden männlich und 35,5 Prozent weiblich.
Das generelle Frauendefizit im öffentlichen Dienst spiegelt sich auch in der Führungsebene des Auswärtigen Amts wider. Nach dem Gleichstellungsindex des Statistischen Bundesamts wurden im Jahr 2019 im Inland und im Ausland 22,8 Prozent der Leitungsfunktionen von Frauen ausgeübt. Betrachtet man nur die Spitzenpositionen im Auswärtigen Amt, flacht die Zahl erneut leicht ab. Die Führungspositionen in Auslandsvertretungen, also etwa die Leitung einer Botschaft oder eines Generalkonsulats, sind 2020 nur zu 19 Prozent mit Frauen besetzt. In der Zentrale des Auswärtigen Amts waren im Jahr 2018 13 Prozent der Posten in den Besoldungsstufen B6 bis B11, den höchsten Führungsebenen, mit Frauen besetzt.
Im Vergleich mit ihren europäischen Nachbarn schneidet die Bundesrepublik Deutschland bezüglich der Geschlechterparität nicht gut ab. Das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten der Schweiz gibt an, dass 22 Prozent der diplomatischen Topkaderstellen von Frauen belegt sind. Im Jahr 2018 wurden 26 Prozent der Botschaften, die vom Ministerium für Europa und Äußeres der Französischen Republik im Ausland etabliert wurden, von Botschafterinnen geführt. Norwegen weist einen Frauenanteil von 33 Prozent in Botschafterposten auf, und in Österreich liegt der Frauenanteil bezüglich der Besetzung von Führungspositionen in Auslandsvertretungen bei 35 Prozent. Die europäischen Vorreiter in Parität sind die skandinavischen Staaten. Schweden hat 40 Prozent seiner Botschafterposten mit Frauen besetzt und Finnland sogar 44 Prozent.
Ungleichheit in den Führungspositionen der Diplomatie hat jedoch relevante Auswirkungen. Zum einen sind Diplomatinnen im Ausland für die Regierungen der Empfangsstaaten ein Zeichen, dass ein Staat Wert auf Gleichstellung legt. Zum anderen sind Diplomatinnen für Frauen in den Empfangsstaaten oft Hoffnungsschimmer und Vorbild. Entscheidungen in der Außenpolitik haben oft weitläufige Konsequenzen, da Außenpolitik andere Politikfelder wie Handel, Klima oder Migration tangiert. Wenn außenpolitische Entscheidungen jedoch von einem Organ getroffen werden, welches mehrheitlich homogen in Geschlecht, Hautfarbe, Religion und Klasse ist, sind diese Entscheidungen nur von einer Perspektive geprägt. Die Perspektiven schlechter situierter Gruppen werden ausgeschlossen, was zur Reproduktion von Ungleichheit führen kann. Eine weibliche Perspektive kann diese Strukturen aufbrechen und den außenpolitischen Blick auf Themen wie beispielsweise sexualisierte Gewalt lenken, die in einem androzentrischen Weltbild geringere Beachtung erfahren hätten.
In der Historie der Diplomatie gab es einzelne einflussreiche Frauen wie die Königin von England Elisabeth I. Als Diplomatie jedoch im späten 19. Jahrhundert und frühen 20. Jahrhundert professionalisiert und bürokratisiert wurde, kam es dazu, dass Frauen offiziell aus dieser Domäne ausgeschlossen wurden. Daher waren Frauen in der Diplomatie lange Zeit nur als Diplomatengattinnen vertreten. Die diplomatischen Institutionen der verschiedenen Länder bauten allerdings auf der unbezahlten und auf formaler Ebene nicht anerkannten Arbeit ebendieser auf. Denn ein Großteil der diplomatischen Beziehungen und Netzwerke wurde durch Empfänge und Veranstaltungen gepflegt, die von Diplomatengattinnen organisiert wurden.
Frauen traten in der bürokratisierten Diplomatie zum ersten Mal in leitenden Rollen Anfang des 20. Jahrhunderts auf. Die erste Botschafterin war die sowjetische Botschafterin Alexandra Kollontai, die 1923 nach Norwegen entsandt wurde. Zwar wurde der diplomatische Dienst aufgrund dieser Entwicklung für Frauen im Jahr 1920 in den USA, im Jahr 1946 in Großbritannien und im Jahr 1949 in Japan geöffnet. Allerdings galt bis zum Jahr 1971 in den USA und bis 1973 in Großbritannien der „Marriage Ban“. Dieser besagte, dass nur ledige Frauen in den diplomatischen Dienst eintreten durften und dass Frauen ihr Amt als Diplomatin niederlegen mussten, sobald sie verheiratet waren.
Im Auswärtigen Dienst Deutschlands sind Frauen ebenfalls schon früh als diplomatische Ehefrauen oder Sekretärinnen in Erscheinung getreten. Die erste Frau in einer hohen Führungsposition war in der DDR Änne Kundermann, die 1950 als Botschafterin nach Bulgarien entsandt wurde. In der Bundesrepublik Deutschland war die erste Botschafterin Ellinor von Puttkamer, welche 1969 als Botschafterin in den Europarat in Straßburg postiert wurde. In Deutschland gab es keinen formalen „Marriage Ban“ für Diplomatinnen, allerdings wurde in der Praxis in solchen Situationen ein erheblicher Druck auf die Frauen ausgeübt zu kündigen.
Inzwischen gibt es einen Wandel bezüglich der Situation von Frauen in der Diplomatie. Frauen werden häufiger für Positionen nominiert, die früher als kritisch für Diplomatinnen galten wie in Saudi-Arabien oder am Heiligen Stuhl. Dazu hat auch die UNSC Resolution 1325 im Jahr 2000 beigetragen, die neben dem verstärkten Einbinden von Frauen in Konfliktmediationen und Friedensprozessen auch höhere Repräsentation von Frauen als Vertreterinnen in entscheidungsträchtigen Positionen einfordert.
Dennoch darf nicht vergessen werden, dass nur das reine Hinzufügen von Frauen nicht hilft, wenn man die informalen Institutionen und Strukturen, die einem männlichen Bias unterliegen, nicht auch verändert. Den meisten Hürden begegnen Frauen in der Diplomatie laut verschiedener Studien daher im Arbeitsalltag. Etwa fand Elizabeth Stewart im Jahr 2012 heraus, dass 87 Prozent der Diplomatinnen Diplomatie als eine männlich dominierte Welt bezeichnen würden. Außerdem nehmen viele Diplomatinnen laut Tran Thanh Ha einen stark ausgeprägten männlichen Chauvinismus an ihren Arbeitsplätzen war. Zudem wurde in einer Studie von Rahman-Figueroa häufig erwähnt, dass Frauen sich noch nicht so ernst genommen fühlen wie Männer, einerseits in ihrem eigenen diplomatischen Dienst und andererseits in manchen Ländern, in denen sie postiert werden. Oft werden Diplomatinnen auch mit persönlichen Assistentinnen oder Sekretärinnen von männlichen Kollegen verwechselt. Daher haben Diplomatinnen oft das Gefühl, dass sie sich mehr anstrengen müssen, um sich zu beweisen.
Oftmals existieren laut Karin Aggestam und Ann Towns zudem geschlechtsspezifische Vorurteile, beispielsweise, dass Frauen zu emotional wären, keine Geheimnisse bewahren könnten oder nicht in gefährliche Länder geschickt werden dürften. Außerdem werden Frauen oft in weiblich konnotierten Themen wie Friedensstiftung und -erhaltung positioniert, während Männer männlich konnotierten Themen und Abteilungen zugeordnet werden wie Verteidigung oder Wirtschaft. Auch informelle Männernetzwerke existieren noch in manchen diplomatischen Diensten, welche dafür sorgen, dass Männer sich gegenseitig befördern und Frauen dabei vernachlässigen.
Doch auch bezüglich des Privat- und Familienlebens von Diplomaten und Diplomatinnen gibt es einige unsichtbare Barrieren für Frauen. Diplomatie und ein Familienleben sind aufgrund der Rotation und der langen Arbeitszeiten sehr schwer vereinbar, das gilt für beide Geschlechter. Frauen bekommen jedoch in der Gesellschaft immer noch mehr Verantwortung für Familie, Verwandtschaft und Haushalt zugeschrieben als Männer. Daher trifft Frauen die schwierige Vereinbarkeit von Karriere und Beruf in diesem Fall stärker. Viele Diplomatinnen bangen außerdem um ihre Aufstiegschancen, wenn sie aufgrund von Schwangerschaft und Mutterschutz ihren Arbeitsplatz eine längere Zeit verlassen müssen.
Bei Partnerschaften ergibt sich das Problem, dass männliche Lebenspartner Diplomatinnen seltener hinterherziehen als weibliche Lebenspartnerinnen Diplomaten. Denn in der Gesellschaft ist es momentan für Frauen normaler und akzeptierter, ihre Karriere für ihren Lebenspartner aufzugeben als für Männer. Für Paare, die beide im diplomatischen Dienst arbeiten, gibt es bereits mehr Möglichkeiten. Diese haben in manchen diplomatischen Diensten die Möglichkeit, bei gleichem Karrierelevel Jobsharing zu betreiben oder, wenn sich das Paar auf unterschiedlichen Karrierestufen befindet, ganztags an der gleichen Botschaft zu arbeiten.
Im Auswärtigen Dienst gibt es aber auch konkrete Maßnahmen für mehr Geschlechtergleichstellung. Seit 2001 gibt es im Auswärtigen Amt eine Gleichstellungsbeauftragte und Gleichstellungspläne. Bezüglich der Auswahlverfahren für den Auswärtigen Dienst gibt es eine Anonymisierung sowie eine Quote und das Gleichstellungsbüro ist bei den Auswahlverfahren ebenfalls anwesend. Diese Maßnahmen haben bereits erfolgreich zu Parität in der Einstellung von Attachés geführt. Ein weiterer Erfolg war 2011 die Ernennung von Emily Haber zur ersten beamteten Staatssekretärin des Auswärtigen Amts, die den Weg für weitere Frauen ebnete. 2019 folgte ihr Antje Leendertse. Es bleibt zu hoffen, dass sich die Entwicklung in Richtung hin zu einer paritätischen Besetzung der höchsten Führungspositionen im Auswärtigen Dienst fortsetzt. Seit 1992 hieß übrigens kein beamteter Staatssekretär des Auswärtigen Amts mehr Hans.
Titelbild:
| Jim, the Photographer / Flickr.com (CC BY 2.0) | Link
Bilder im Text:
| UN Photo / Manuel Elias (Alle Rechte vorbehalten) | Link
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Beitrag (redaktionell unverändert): Larissa Greul
Redaktionelle Umsetzung: Florian Gehm