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Aufbruch nach Kryptopia
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Blockchain-Technologie

Aufbruch nach Kryptopia

von Aaron Schwiegel | Zeppelin Universität
19.01.2022
Die größte Herausforderung für die globale Zivilgesellschaft wird bald darin bestehen, neue politische und soziale Dimensionen zu erkunden, mit dem Ziel, die Anwendungen disruptiver Technologien wie der Blockchain mit Bürgerrechten, Gleichberechtigung, sozialem Zusammenhalt, Inklusion und dem Schutz des öffentlichen Sektors zu integrieren.

Aaron Schwiegel
Student des Bachelorstudiengangs „Sociology, Politics and Economics“
 
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    Zur Person
    Aaron Schwiegel

    Aaron Schwiegel ist Stipendiat der Friedrich-Naumann-Stiftung und studiert seit 2019 den Bachelorstudiengang „Sociology, Politics and Economics“ an der Zeppelin Universität. Er hat währenddessen die Initiative „BlockZUBlock“ an der ZU gegründet und geleitet. Zudem hat er bereits ein Auslandssemester an der University of Mississippi absolviert, in dem er sich vertieft mit Populismus und amerikanischer Innenpolitik auseinandergesetzt hat. Für das Frühjahrssemester 2022 hat er die StudentStudy „Kryptopia: Jenseits von Bitcoin“ initiiert.

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Die Implikationen der Blockchain für den Finanzsektor wurden bisher verstärkt im Mainstream diskutiert. Was bis dato ausbleibt, ist ein tiefgreifender demokratietheoretischer Ausblick der disruptiven Technologie. Hat die Blockchain das Potential, die Menschheit in einer noch nie da gewesenen Weise vom Staat zu emanzipieren und neues Systemvertrauen durch die integrierten Konsensprotokolle zu bilden? Oder rutschen wir mit dieser Vorstellung bereits in eine technokratische Dystopie ohne jegliche Institutionen?


Inzwischen kennen die meisten Menschen Bitcoin, die erste Live-Blockchain-Anwendung. Der mysteriöse Satoshi Nakamoto hat die bekannte Kryptowährung kurz nach der Weltfinanzkrise im Januar 2009 auf den Markt gebracht. Bitcoin ist eine Peer-to-Peer-Zahlungsanwendung und verwendet Kryptographie, Computeralgorithmen und Verhaltensanreize, um alle Wertübertragungen durch die Distributed-Ledger-Technologie zu überprüfen, zu sichern und dauerhaft zu speichern. Dieser Distributed Ledger wird kopiert und an alle aktiven Knoten im Netzwerk verteilt.


Die Währung Bitcoin etwa hat seine Wurzeln in libertären und cypherpunk-Werten, die darauf abzielen, Regierungen und große Finanzinstitute zu umgehen. Keine Person, kein Unternehmen, keine Regierung besitzt oder kontrolliert also vollumfassend jegliche Form von Eigentum in der Welt von Kryptopia – geschweige denn kann dortige Dinge unbemerkt verändern. Solche Blockchain-Netzwerke sind sogenannte „public-permissionless blockchain applications“, was darauf hinweist, dass jeder Akteur im Netzwerk Transaktionen durchführen und jede Validierung ausführen kann. Um Transaktionen zu tätigen, benötigen Benutzer nur eine Anwendungsschnittstelle, beispielsweise eine Art digitale Geldbörse. Nach jedem Hinzufügen neuer Transaktionen zu einer Blockchain wird der Kette ein digitaler Fußabdruck (genannt Hash) beigefügt.

„Kryptopia“ ist auf dem Weg in die Realität. Wie schnell das gehen kann, zeigt gerade der Hype um sogenannte NFTs. Diese Non-Fungible-Tokens sind aktuell in der Kryptoszene und auf dem Kunstmarkt in aller Munde. Doch wie genau unterscheiden sich NFTs von digitalen Währungen? Kryptowährungen sind fungible. Dies bedeutet, dass alle Token einer bestimmten Kryptowährung den gleichen Vermögenswert darstellen und untereinander austauschbar sind. NFTs dagegen repräsentieren einzigartige Assets und besitzen daher unterschiedliche Vermögenswerte, sind also nicht austauschbar. Es handelt sich demnach nicht um eine Währung, sondern um einzigartige, limitierte, digitale Kunstgegenstände, die den Nerv zeitgenössischer Sammler voll und ganz treffen. Und diese digitalen Dateien können in der realen Welt zigtausende Euros in Auktionen erreichen. So erzielt beispielsweise ein Clip, indem LeBron James einen Korb beim Basketball macht, 200.000 Euro und Twitter-Chef Jack Dorsey versteigerte eine digitale Kopie des allerersten Tweets für 2,4 Millionen Euro.
„Kryptopia“ ist auf dem Weg in die Realität. Wie schnell das gehen kann, zeigt gerade der Hype um sogenannte NFTs. Diese Non-Fungible-Tokens sind aktuell in der Kryptoszene und auf dem Kunstmarkt in aller Munde. Doch wie genau unterscheiden sich NFTs von digitalen Währungen? Kryptowährungen sind fungible. Dies bedeutet, dass alle Token einer bestimmten Kryptowährung den gleichen Vermögenswert darstellen und untereinander austauschbar sind. NFTs dagegen repräsentieren einzigartige Assets und besitzen daher unterschiedliche Vermögenswerte, sind also nicht austauschbar. Es handelt sich demnach nicht um eine Währung, sondern um einzigartige, limitierte, digitale Kunstgegenstände, die den Nerv zeitgenössischer Sammler voll und ganz treffen. Und diese digitalen Dateien können in der realen Welt zigtausende Euros in Auktionen erreichen. So erzielt beispielsweise ein Clip, indem LeBron James einen Korb beim Basketball macht, 200.000 Euro und Twitter-Chef Jack Dorsey versteigerte eine digitale Kopie des allerersten Tweets für 2,4 Millionen Euro.

Am Beispiel Bitcoin habe ich gezeigt, wie wichtig die Verifizierung der Transaktionen ist. Doch wie kann uns die Blockchain praktisch dabei helfen, verlorenes Vertrauen – wie etwa am Beispiel US-amerikanischer Wahlen – wieder aufleben zu lassen? „The foundational principle that voting procedures build on can be considered as egalitarian consent“, schreibt Dr. Dr. Yoan Hermstrüwer in seinem Paper „The Limits of Blockchain Democracy: A Transatlantic Perspective on Blockchain Voting Systems“. Die angewandte Blockchain-Technologie hängt stark von der Methode zur Überprüfung der Gültigkeit der Blöcke ab (Konsensprotokoll). In einem kryptographischen Onlinewahlsystem entspricht eine abgegebene Stimme einer Transaktion. Jede Transaktion ist folglich an eine Blockchain mit einem einmaligen Hash Code angehängt. Bei Verwendung eines geeigneten Konsensprotokolls (Zustimmung von 51 Prozent aller Teilnehmenden) kann die Blockchain nicht manipuliert werden – und wenn eine Stimme verloren oder nachträglich hinzugefügt wird, ist es für alle Teilnehmenden ersichtlich.


Die Blockchain-Technologie wird wahrscheinlich den Weg zu neuen Formen der Entscheidungsfindung und Governance ebnen, ohne auf Gesetze und Institutionen zurückgreifen zu müssen, die auf der Idee einer zentralisierten Regierungsgewalt basieren. Einerseits bietet sie neue Möglichkeiten, Vertrauen – ohne einen einzigen vertrauenswürdigen Dritten – zu erlangen. Andererseits setzt sie im Gegensatz zu der von Thomas Hobbes ins Auge gefassten Art der zentralisierten Governance auf eine Peer-to-Peer-Netzwerkinfrastruktur und arbeitet somit dezentral. Bei der Organisation demokratischer Wahlen hat die Blockchain-Technologie das Potenzial, den Zugang zu Wahlen zu erleichtern und die Teilnahme deutlich flexibler zu gestalten.

Dennoch ist die Blockchain-Technologie kein Allheilmittel. Die Kernfunktion jedes Abstimmungsverfahrens ist die Legitimation. Legitimation erfordert Verfahren, denen die Wähler vertrauen können. „A blockchain system, as it is used for cryptocurrencies, is in fact a distributed trust system rather than a trustless system“, so Peter Racsko in seinem Aufsatz „Blockchain and Democracy“. Inwieweit jedoch dieses Vertrauen gerechtfertigt ist, hängt stark davon ab, wie sicher, genau, transparent und nachvollziehbar das Abstimmungsverfahren ist. Diese Bedingungen auf der Blockchain sicherzustellen, ist komplex und kostspielig. Die Entwicklung sicherer Blockchain-Wahlformate erfordert wahrscheinlich ein hohes Maß an zentralisierter Aufsicht. Angesichts dieser Mängel sind die Vorteile der Blockchain-Technologie und der dezentralen Governance bei allgemeinen politischen Wahlen nicht so klar wie in anderen Kontexten. Daher sollten wir nach Yoan Hermstrüwer nicht erwarten, dass Blockchain-Abstimmungsverfahren die Teilnahme an groß angelegten politischen Wahlen wiederbeleben und die Symptome oder Ursachen ohnmächtiger Demokratien beheben.


Die Blockchain ist eine disruptive Technologie mit einem enormen Transformationspotenzial für unsere demokratischen Gesellschaften. Risiken und Vorteile in Bezug auf die möglichen Anwendungen müssen jedoch sorgfältig abgewogen werden, um utopische Erwartungen sowie die Fallstricke technokratischen Denkens und Determinismus zu vermeiden. Bei richtiger Verwaltung ist eine Dezentralisierung von Regierungsdiensten durch genehmigte Blockchains möglich und wünschenswert, da sie etwa die Funktionalität der öffentlichen Verwaltung erhöhen kann.

Die Dezentralisierung der Governance durch offene, verteilte Blockchains wie Bitcoin birgt jedoch ernsthafte Risiken und Nachteile, die die Vorteile aufwiegen. Obwohl ursprünglich als „disintermediationstools“ konzipiert, zeichnen sich die Ökosysteme vollständig verteilter Blockchains durch eine große Anzahl von Drittanbietern und profitablen Unternehmen aus, die Vermittlungsdienste mit starken Informations- und Machtasymmetrien zwischen Entwicklern und Benutzern anbieten. So halten etwa die Top 100 etwa 19 Prozent aller geschürften Bitcoins, 35 Prozent aller Ether und 78 Prozent aller Ripple Token. Der Trend zur Zentralisierung, Digital Divide, Intransparenz in Entscheidungsfindungsprozessen und unerklärliche Macht der Kernentwickler – all diese Faktoren stellen die egalitäre Natur der derzeitigen verteilten Netzwerke in Frage und modellieren die Erwartungen einiger Blockchain-Befürworter als überschätzt und unrealistisch.


Insbesondere die Vorstellung einer Blockchain-basierten Autorität, die frei schwebt, erweist sich als trügerisch, da sich Autorität tatsächlich in subtilere oder verstecktere zentralisierte Formen verwandelt. Es gibt daher Gründe, die Rolle der Blockchain-basierten Governance als großer Vermittler individueller Macht im absoluten Sinne in Frage zu stellen. Einerseits wird das Versprechen, Einzelpersonen zu stärken, aufgrund der dominierenden Rolle der Märkte und der spekulativen Verifikationssysteme vollständig verteilter Blockchains wahrscheinlich unerfüllt bleiben. Andererseits könnte der Prozess der Verharmlosung öffentlicher Institutionen, das Primat der Ökonomie vor der Politik und die Verwandlung von Bürgern in Kunden mit dem Versprechen von mehr Freiheit, Effizienz und Gleichheit einen weiteren heimtückischen Prozess der Korporatisierung der Politik verbergen, der Märkte unweigerlich zum Nachteil der Bürger ermächtigt.

Die größte Herausforderung für die globale Zivilgesellschaft wird bald darin bestehen, neue politische und soziale Dimensionen zu erkunden, mit dem Ziel, die Anwendungen disruptiver Technologien wie der Blockchain mit Bürgerrechten, Gleichberechtigung, sozialem Zusammenhalt, Inklusion und dem Schutz des öffentlichen Sektors zu integrieren. Eine solche Integration ist unabdingbar und kann nicht dem (anti-)politischen Engineering von IT-Experten, Finanzinvestoren und Codeentwicklern überlassen werden: Sie erfordert in der Tat eine ausgereifte und interdisziplinäre Anstrengung aller Bereiche des menschlichen Wissens, insbesondere mit Blick auf die politische Theorie sowie die Geistes- und Sozialwissenschaften, um Risiken, Vorteile und Ergebnisse der neuen Technologien bestmöglich zu bewerten. Mit der neuen StudentStudy „Kryptopia: Jenseits von Bitcoin“ an der Zeppelin Universität wollen wir uns dieser Problemstellung aus einer interdisziplinären Warte nähern und versuchen, nicht nur auf ökonomische Primärfunktionen einzugehen, sondern das Phänomen Blockchain ganzheitlich zu (be-)greifen.

Titelbild: 

| Markus Spiske / Unsplash.com (CC0 Public Domain) | Link


Bilder im Text: 

| Clint Adair / Unsplash.com (CC0 Public Domain) | Link

| Bermix Studio / Unsplash.com (CC0 Public Domain) | Link


Beitrag (redaktionell unverändert): Aaron Schwiegel

Redaktionelle Umsetzung: Florian Gehm

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