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Kompromiss ohne Kompass
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Energie-Entlastungspaket

Kompromiss ohne Kompass

von Prof. Dr. Alexander Eisenkopf | Zeppelin Universität
04.04.2022
Wie so häufig ist die Lösung ein Kompromiss, der alle beteiligten Parteien irgendwie repräsentiert und Gesichtswahrung ermöglicht, aber eigentlich nur von Hilflosigkeit und ordnungspolitischer Prinzipienlosigkeit geprägt ist.

Prof. Dr. Alexander Eisenkopf
ZEPPELIN-Lehrstuhl für Wirtschafts- und Verkehrspolitik
 
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    Prof. Dr. Alexander Eisenkopf

    Alexander Eisenkopf studierte Betriebs- und Volkswirtschaftslehre an der Universität Mannheim. Nach seiner Promotion über Just in Time-orientierte Fertigungs- und Logistikstrategien arbeitete und lehrte Eisenkopf in Gießen und Frankfurt. Seit 2003 ist Eisenkopf Professor an der Zeppelin Universität und Gastdozent an der Wiener Wirtschaftsuniversität. Seine Forschungsschwerpunkte liegen unter anderem auf Mobilität und Transportunternehmen.

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Die Illusionen der Energie- und Verkehrswender platzen derzeit wie Luftballons. Im Zuge der militärischen Aggression Putins in der Ukraine ist der Ernstfall leider auch auf den Energiemärkten eingetreten. Angesichts überschießender Gas- und Ölnotierungen, die an den Tankstellen zu Benzin- und Dieselpreisen jenseits von 2 Euro geführt haben und nicht wenige Deutsche bei Strom und Gas mit der unangenehmen Situation einer Energieknappheit konfrontieren, wird in der Politik nicht mehr über eine mögliche Erhöhung des nationalen CO2-Preises diskutiert, um die 2021 verfehlten Klimaschutzziele doch noch zu erreichen. Stattdessen geht es um Rabatte an der Tankstelle, ÖPNV for free und ein Energiegeld, das den wirtschaftlich Schwächeren helfen soll, den gewohnten Lebensstandard einigermaßen zu halten, um nicht gegen Putin und für die Energiewende frieren zu müssen.


In einer großen nationalen Kraftanstrengung hat sich die Ampel-Koalition vor wenigen Tagen auf ein sogenanntes Energie-Entlastungspaket geeinigt. Das ist übrigens schon das zweite sogenannte Entlastungspaket in diesem Jahr, denn steigende Öl-, Gas- und Strompreise gehörten auch schon vor dem Ukraine-Krieg zu den unangenehmen Begleiterscheinungen der deutschen Energiepolitik. Wesentlicher Teil dieses ersten Entlastungspakets war die „Abschaffung der EEG-Umlage“ zum 1. Juli 2022. Diese fällt allerdings nicht wirklich weg, wie der Begriff suggeriert, sondern wird in Zukunft einfach über den Bundeshaushalt finanziert. Es zahlen also nicht mehr die Stromkunden, sondern alle, die hierzulande noch Steuern zahlen. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.

Wie so häufig wurde über das Paket (angeblich) eine ganze Nacht verhandelt, als ginge es um Krieg oder Frieden. Wie so häufig ist die Lösung ein Kompromiss, der alle beteiligten Parteien irgendwie repräsentiert und Gesichtswahrung ermöglicht, aber eigentlich nur von Hilflosigkeit und ordnungspolitischer Prinzipienlosigkeit geprägt ist. Wie so häufig handelt es sich um eine Politik mit Scheckbuch und Gießkanne, die mehr von Symbolen lebt, als dass sie zur Problemlösung beiträgt.

Teures Tanken: Den eigenen Wagen mit Sprit zu befüllen, ist in diesen Tagen so teuer wie kaum je zuvor. Eine aktuelle ADAC-Auswertung der Kraftstoffpreise zeigt, dass ein Liter Super E10 derzeit im bundesweiten Mittel 2,048 Euro kostet. Der Preis für einen Liter Diesel liegt aktuell bei 2,154 Euro. Zu viel finden nicht nur Pendler und Vielfahrer, sondern auch die Bundespolitik. Der Benzinpreis soll deshalb jetzt um 30 Cent je Liter fallen, beim Dieselpreis soll es um 14 Cent heruntergehen. Möglich wird das, indem die Bundesregierung die Energiesteuer auf Kraftstoffe auf das europäische Mindestniveau reduziert. Die Regelung gilt allerdings nur befristet für drei Monate, also bis Ende Juni. „Wir wollen die Menschen, die auf das Auto angewiesen sind, Pendlerinnen und Pendler, Familien und Gewerbetreibende mit den steigenden Spritpreisen nicht im Stich lassen“, sagte Finanzminister Lindner.
Teures Tanken: Den eigenen Wagen mit Sprit zu befüllen, ist in diesen Tagen so teuer wie kaum je zuvor. Eine aktuelle ADAC-Auswertung der Kraftstoffpreise zeigt, dass ein Liter Super E10 derzeit im bundesweiten Mittel 2,048 Euro kostet. Der Preis für einen Liter Diesel liegt aktuell bei 2,154 Euro. Zu viel finden nicht nur Pendler und Vielfahrer, sondern auch die Bundespolitik. Der Benzinpreis soll deshalb jetzt um 30 Cent je Liter fallen, beim Dieselpreis soll es um 14 Cent heruntergehen. Möglich wird das, indem die Bundesregierung die Energiesteuer auf Kraftstoffe auf das europäische Mindestniveau reduziert. Die Regelung gilt allerdings nur befristet für drei Monate, also bis Ende Juni. „Wir wollen die Menschen, die auf das Auto angewiesen sind, Pendlerinnen und Pendler, Familien und Gewerbetreibende mit den steigenden Spritpreisen nicht im Stich lassen“, sagte Finanzminister Lindner.

Am meisten präsent in der öffentlichen Wahrnehmung ist die geplante temporäre Senkung der Energiesteuer (vulgo Mineralölsteuer) auf das europäische Mindestniveau. Dies sind rund 14 Cent für Diesel und 30 Cent für Ottokraftstoff. Theoretisch könnte die Entlastung etwas größer sein, denn es entfällt auch die Mehrwertsteuer auf die Mineralölsteuerreduzierung. Faktisch ist jedoch nicht damit zu rechnen, dass diese Steuersenkung vollständig an die Kunden weitergegeben wird, da die Nachfrage nicht vollkommen unelastisch und die Preisbildung derzeit ohnehin alles andere als transparent ist.


Während sich darüber vielleicht Autofahrer mit Benzinmotoren freuen und das Güterkraftverkehrsgewerbe nach wie vor nach billigem Gewerbediesel lechzt, stellt sich die Frage nach dem ordnungspolitischen Kompass der Bundesregierung. Zwar ist die gefundene Lösung sicherlich weniger problematisch als der ursprüngliche Tankstellenrabatt des Finanzministers, aber trotzdem inkonsistent. Wenn Märkte über höhere Preise neue Knappheiten aufgrund geopolitischer Spannungen signalisieren, sollte die Politik nicht panisch in die Preisbildung eingreifen und mit temporären Energiesteuersenkungen den Eindruck erwecken, die Menschen „nicht im Stich zu lassen“. Dieser vermeintliche Schutz vor Marktkräften ist teuer und nicht durchdacht. Zumal ein Gutteil der Benzinpreissteigerung in Deutschland auf die politische Diskussion um ein mögliches Energieembargo gegen Russland zurückzuführen sein dürfte. Die Politik konterkariert mit dem Steuerrabatt das Preissignal und mindert Anstrengungen zur Verbrauchssenkung sowie notwendige Anpassungsreaktionen.


Inkonsistent ist das auch, wenn man die politischen Festlegungen im Zuge der Energie- und Verkehrswende in Erinnerung ruft, die aus Klimaschutzgründen ja gerade eine deutliche Verteuerung von fossilen Kraftstoffen anstreben. Wer beim nun unfreiwilliger Weise gestarteten Realexperiment kalte Füße und Angst vor Gelben Westen bekommt, wäre gut beraten, seine politischen Ziele zu hinterfragen. Auch der Hinweis, dass andere Länder in der EU ihre Energiepreise deckeln und flächendeckende Subventionen verteilen, ist keine Rechtfertigung für einen solchen Eingriff. Nationale Energiesubventionen – durch großzügige Umverteilungsmaßnahmen im Zuge des Europäischen Wiederaufbaufonds momentan leicht finanzierbar – führen letztlich auch noch zu weiteren Wettbewerbsverzerrungen in der EU.

Ordnungspolitisch bedeutet der kleinteilige Eingriff in die Preisbildung einen erneuten Abschied vom Prinzip der freien Preisbildung auf Märkten. Selbstverständlich kann man über die Höhe der Abgaben auf fossile Brennstoffe in Deutschland sehr grundsätzlich streiten; eine politische Preislenkung über temporäre Steuersenkungen, die dann auch mit Maßnahmen der Marktüberwachung und Marktregulierung begleitet werden sollen, ist jedoch ein weiteres Signal für ein paternalistisches Staatsverständnis und den Weg in die unvermeidliche Interventionsspirale. Mietpreisbremse und Mietendeckel lassen grüßen. Mit der gleichen Begründung könnte man die bereits und absehbar weiter steigenden Lebensmittelpreise regulatorisch angehen, um den sozialen Frieden in Deutschland zu sichern.


Wenn der aktuelle Energiepreisschock tatsächlich Teile der unteren und sogar der mittleren Einkommensschichten in ihrer Existenz und ihrem Lebensstandard bedroht – Zielpublikum des Maßnahmenpakets ist explizit die „Mitte der Gesellschaft“ –, stellt dies doch eigentlich einen Offenbarungseid der deutschen Politik der vergangenen Jahrzehnte dar. Zu lange haben wir das „Märchen vom reichen Land“ gehört und gerne geglaubt. Eine grundsätzliche Neujustierung der Wirtschafts- und Geldpolitik hin zu mehr Wettbewerb, Wohlstand, Stabilität und Resilienz wäre dringend notwendig.


Einen noch größeren Schildbürgerstreich als die Energiesteuersenkung stellt das geplante 9-Euro-Ticket für 90 Tage ÖPNV dar. Was maßt sich ein Koalitionsausschuss eigentlich an, wenn er formuliert: „Deshalb führen wir für 90 Tage ein Ticket für 9 Euro/Monat (9 für 90) ein und werden die Regionalisierungsmittel so erhöhen, dass die Länder dies organisieren können.“ Die Bundesländer und die vielen ÖPNV-Unternehmen im Lande als Befehlsempfänger eines wohlmeinenden Pluralis Majestatis. Während die kurzfristig einberufene Länderverkehrsministerkonferenz sogar den Nulltarif forderte, da ein „9-Euro-Ticket“ im Tarif- und Bürokratiedschungel des deutschen ÖPNV zu wahrscheinlich chaotischen Zuständen und erheblichen Transaktionskosten führen würde, sekundiert die Branche mit verhaltener Zustimmung. Vielleicht ist das der rettende Strohhalm, um wenigstens einige der zahlreichen im Zuge von Corona verloren gegangenen Kunden zurückzugewinnen. Da der Bund ohnehin für alle Folgekosten aufkommt, wird ja gerade auch ein neuer Verschiebebahnhof für Subventionen aufgemacht.

Die wohl Aufsehen erregendste Maßnahme der neuen Ampel-Regierung ist die „9 für 90“-Idee. Denn zusätzlich zum Sprit- und Energiepreis-Entlasten versucht die Koalition, die Bürger zum Umstieg auf die öffentlichen Verkehrsmittel zu bewegen. Bundesweit soll ein Ticket für 9 Euro pro Monat eingeführt werden, das in öffentlichen Bussen und Bahnen gilt. Die Billig-Monatskarte soll es für einen Zeitraum von 90 Tagen geben – Starttermin noch ungewiss. Um das zu finanzieren, sollen die Länder mit entsprechenden Mitteln ausgestattet werden. Ob das neue ÖPNV-Ticket innerhalb einer Stadt, einer Region oder sogar im ganzen Bundesgebiet gilt, ist noch unklar. Fest steht aber bereits: Die Länder wurden von dem Vorschlag offenbar überrumpelt, klagen über unzählige Nachfragen und Abo-Kündigungen im Affekt, von Kunden, die dank der neuen Bundestickets auf große Ersparnisse hoffen.
Die wohl Aufsehen erregendste Maßnahme der neuen Ampel-Regierung ist die „9 für 90“-Idee. Denn zusätzlich zum Sprit- und Energiepreis-Entlasten versucht die Koalition, die Bürger zum Umstieg auf die öffentlichen Verkehrsmittel zu bewegen. Bundesweit soll ein Ticket für 9 Euro pro Monat eingeführt werden, das in öffentlichen Bussen und Bahnen gilt. Die Billig-Monatskarte soll es für einen Zeitraum von 90 Tagen geben – Starttermin noch ungewiss. Um das zu finanzieren, sollen die Länder mit entsprechenden Mitteln ausgestattet werden. Ob das neue ÖPNV-Ticket innerhalb einer Stadt, einer Region oder sogar im ganzen Bundesgebiet gilt, ist noch unklar. Fest steht aber bereits: Die Länder wurden von dem Vorschlag offenbar überrumpelt, klagen über unzählige Nachfragen und Abo-Kündigungen im Affekt, von Kunden, die dank der neuen Bundestickets auf große Ersparnisse hoffen.

Bezeichnend ist allerdings, dass der Fahrgastverband „Pro Bahn“, der niemanden nach dem Mund reden muss, das Ganze als „populistischen Schnellschuss ohne nachhaltige Wirkung“ bezeichnete. Das Geld solle besser in den klima- und verkehrspolitisch notwendigen Ausbau des ÖPNV investiert werden. Dem ist nichts hinzuzufügen.


Und wer bezahlt all diese Wohltaten? Im Zweifelsfall die Gruppe derjenigen Mitbürger, die über ihre Steuerlast heute mehr oder weniger zu den öffentlichen Haushalten beitragen oder in Zukunft beitragen werden. Wieviel das Paket kostet, wollte man anfangs noch nicht so genau sagen, aber es machen Schätzungen von 17 Milliarden Euro die Runde. Sehr beliebt in den Medien sind vor diesem Hintergrund auch Rechnungen der Art „Wer profitiert wie viel vom Entlastungspaket“, die dieses Problem natürlich ausblenden.


Bei den wie Helikoptergeld hereinflatternden Einmalzahlungen (300 Euro für jeden Erwerbstätigen, 100 Euro für jedes Kind und 200 Euro für Empfänger von Sozialleistungen) wird die Ernüchterung für viele allerdings groß sein, da berechtigterweise auf die verteilungspolitische Balance geachtet wurde und steuerliche Leistungsträger größtenteils leer ausgehen dürften. Spannend ist festzustellen, dass die Zukunft der Sozialpolitik wohl in solchen „Direktzahlungen“ gesehen wird, denn die Bundesregierung beabsichtigt im Zuge der Maßnahmen auch einen „einfachen und unbürokratischen“ Auszahlungsweg über die Steuer-ID für das „Klimageld“ zu entwickeln.

Allerdings dürften die gewährten Almosen nicht annähernd ausreichen, um bei den wirklich Bedürftigen den Preisanstieg abzufedern, der sich mittelfristig insbesondere beim Thema Heizenergie und Strom zeigen wird. So hat man zum Beispiel die Rentner erst einmal vergessen, denn hier gibt es meist keinen Arbeitgeber mehr, der die Energiepreispauschale auszahlen könnte. Wirklich zielgerichtete Unterstützung von Bedürftigen statt Zuwendungen anhand nur bedingt nachvollziehbarer Kriterien bei Verzicht auf Eingriffe in die Preise wäre stattdessen der richtige Weg, um betroffene Bürger zu unterstützen.


Abschließend ein Blick auf das Kleingedruckte im „Maßnahmenpaket des Bundes zum Umgang mit den hohen Energiekosten“. Hier werden nach wie vor die Luftballons der Energiewender aufgeblasen: Beschleunigung des Umstiegs auf erneuerbare Energien, Unterstützung der Beschaffung von Flüssigerdgas (LNG), Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft und Festhalten am Kohleausstieg – idealerweise bis 2030.


Aber auch diese Luftballons dürften bald platzen – es ist einfach ein Problem der für eine verlässliche und einigermaßen bezahlbare Energieversorgung erforderlichen Größenordnungen erneuerbarer Energien oder LNG-Importe beziehungsweise deren Verfügbarkeit. Gleichzeitig auf Energie aus Russland, auf die heimische Kohle und auf Atomkraft zu verzichten, kommt einer Quadratur des Kreises nahe, auch wenn in den nächsten Jahren die Energieeffizienz deutlich zunehmen wird.


Wenn sich an der Energiepolitik nicht grundsätzlich etwas ändert, dürfte unsere Energiezukunft von verschärfter Knappheit, Rationierung und massiven Preissteigerungen geprägt sein. Wohlstandsverluste und (weitere) Deindustrialisierung sind absehbar. Mit der heißen Nadel in Nachtsitzungen gestrickte Papiere werden da nicht weiterhelfen. „Energiesouveränität“ über Autarkielösungen auf der Basis von Wind und Sonne ist ohnehin kein gangbarer Weg in die Zukunft. Zur Diskussion um die ohne Zweifel erforderliche Diversifizierung der Energiequellen gehören dann auch die Optionen der Kernenergie, CO2-Abscheidung und der Import grüner Energie aus Standorten, die bessere Bedingungen für Wind und Sonne aufweisen als Deutschland.

Titelbild: 

| Wilhelm Gunkel / Unsplash.com (CC0 Public Domain) | Link


Bilder im Text: 

Julian Hochgesang / Unsplash.com (CC0 Public Domain) | Link

| Fionn Große / Unsplash.com (CC0 Public Domain) | Link


Beitrag (redaktionell unverändert): Prof. Dr. Alexander Eisenkopf

Redaktionelle Umsetzung: Florian Gehm

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