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Wie militant darf sie sein?
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Feministische Außenpolitik

Wie militant darf sie sein?

von Anna Hartmann | Zeppelin Universität
19.10.2022
„Die Bemühungen um feministische Außenpolitik sollten nicht unterbrochen werden, nur weil Deutschland aufrüstet und Waffen liefert. Schließlich geht es bei Feminist Foreign Policy darum, das Leid von Frauen und anderen marginalisierten Gruppen zu lindern.“

Anna Hartmann
ZU-Alumna und Trägerin des Best Master Thesis Awards
 
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    Zur Person
    Anna Hartmann

    Nach ihrem Bachelorstudium in European Studies an der Universität Passau und einem Auslandssemester an der University of South Alabama in den USA absolvierte Anna Hartmann den Masterstudiengang „Politics, Administration and International Relations“ an der Zeppelin Universität. Während ihres Masterstudiums setzte sie ihren Schwerpunkt auf Internationale Beziehungen. Besonders vertiefte sie ihr Wissen zu feministischer Außenpolitik, welche sie zum Thema ihrer mit dem Best Master Thesis Award ausgezeichneten Masterarbeit machte.

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Ich sage an dieser Stelle vielleicht auch einmal – ich habe lange überlegt, ob ich darauf reagiere; aber weil es dann zweimal kam, gestern bei Herrn Dobrindt und dann heute bei Ihnen, Herr Merz, mache ich es –: Die Bundeswehr hier herauszustellen und dann im gleichen Satz zu sagen: „Okay, Bundeswehr und nicht mehr diese feministische Außenpolitik“, das bricht mir das Herz.


Und wissen Sie, warum? Weil ich vor einer Woche bei den Müttern von Srebrenica war und die mir beschrieben haben, wie die Spuren dieses Krieges in ihnen drin sind, und gesagt haben: „Frau Baerbock, damals wurde nicht gehandelt, Anfang der 90er Jahre“, als sie, als ihre Töchter, als ihre Freundinnen vergewaltigt worden sind, Vergewaltigung als Kriegswaffe nicht anerkannt war, nicht vom Internationalen Strafgerichtshof verfolgt wurde.


Deswegen gehört zu einer Sicherheitspolitik des 21. Jahrhunderts auch eine feministische Sichtweise.


Rede der Bundesministerin des Auswärtigen, Annalena Baerbock, zum Haushaltsgesetz 2022 vor dem Deutschen Bundestag am 23. März 2022 in Berlin

Die Worte der ersten deutschen Außenministerin Annalena Baerbock zur Debatte um die Aufstockung des Verteidigungsetats der Bundeswehr sind in ihrer Deutlichkeit und Nachdrücklichkeit kaum zu übertreffen. Gerade im Angesicht von kriegerischen Auseinandersetzungen und Aggressionen im Herzen Europas betont die Außenministerin, dass es umso wichtiger sei, feministische Außenpolitik nicht aufzugeben, um das Leid aller Menschen und von Frauen im Besonderen zu mindern.


Das Konzept der feministischen Außenpolitik ist ein derzeit heiß diskutiertes Thema der Bundespolitik. Breite Aufmerksamkeit erreichte sie durch den im November 2021 veröffentlichten Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung. SPD, Grüne und FDP bekannten sich in ihrer Vereinbarung erstmals zum Handeln „im Sinne einer Feminist Foreign Policy“.


Die Entstehung feministischer Außenpolitik reicht weiter zurück und ist eng mit der Proklamation dieser durch die sozialdemokratisch-grüne Regierung in Schweden im Jahr 2014 verbunden. Drei Jahre später folgte Kanada unter der liberalen Regierung von Justin Trudeau. In den folgenden Jahren bekannten sich immer mehr Staaten zu einer Feminist Foreign Policy. Die wissenschaftliche Betrachtung dieses Phänomens begann allerdings erst nach Schwedens erstem Schritt. Dementsprechend handelt es sich um ein noch sehr spärlich untersuchtes Forschungsfeld, in dem es bisher an einem allgemein anerkannten Rahmenwerk darüber mangelt, was genau eine Feminist Foreign Policy ausmacht.

Feministische Außenpolitik basiert auf der Überzeugung, dass Geschlechtergerechtigkeit und gleichberechtigte Teilhabe Voraussetzung für nachhaltigen Frieden und Sicherheit in der Welt sind, heißt es von Seiten des Auswärtigen Amtes und seiner Hausspitze Annalena Baerbock. Dabei setzt das deutsche Außenministerium auf die Formel „3R+D“: Es geht um die Förderung der Rechte, von Repräsentanz und der Ressourcen von Frauen und marginalisierten Gruppen. Zudem soll Diversität gefördert werden. Feministische Außenpolitik beschreibt für die amtierende Bundesregierung also vor allem die Art und Weise, wie künftig in der Außen-, Sicherheits- und Entwicklungspolitik gearbeitet werden soll. Der zentrale Unterschied zwischen dem bisherigen Engagement und der Etablierung einer feministischen Außenpolitik liegt im Blick auf die Ursachen – und darin, wie die Mitarbeiter des Auswärtigen Amtes künftig an ihre Aufgaben herangehen werden: Deutschland wird sich demnach künftig noch gezielter für Geschlechtergerechtigkeit einsetzen. Die Bundesregierung will die Gleichstellung der Geschlechter noch stärker als bisher in ihre Arbeit einbeziehen. Sie will dafür Sorge tragen, dass Frauen in all ihrer Diversität bei Verhandlungen, Projektplanungen, Konferenzen und Konsultationen repräsentiert sind. Ihre feministische Außenpolitik versteht sie nach eigener Aussage intersektional, das heißt sie berücksichtigt die Verschränkung von und Wechselwirkungen zwischen verschiedenen Benachteiligungen.
Feministische Außenpolitik basiert auf der Überzeugung, dass Geschlechtergerechtigkeit und gleichberechtigte Teilhabe Voraussetzung für nachhaltigen Frieden und Sicherheit in der Welt sind, heißt es von Seiten des Auswärtigen Amtes und seiner Hausspitze Annalena Baerbock. Dabei setzt das deutsche Außenministerium auf die Formel „3R+D“: Es geht um die Förderung der Rechte, von Repräsentanz und der Ressourcen von Frauen und marginalisierten Gruppen. Zudem soll Diversität gefördert werden. Feministische Außenpolitik beschreibt für die amtierende Bundesregierung also vor allem die Art und Weise, wie künftig in der Außen-, Sicherheits- und Entwicklungspolitik gearbeitet werden soll. Der zentrale Unterschied zwischen dem bisherigen Engagement und der Etablierung einer feministischen Außenpolitik liegt im Blick auf die Ursachen – und darin, wie die Mitarbeiter des Auswärtigen Amtes künftig an ihre Aufgaben herangehen werden: Deutschland wird sich demnach künftig noch gezielter für Geschlechtergerechtigkeit einsetzen. Die Bundesregierung will die Gleichstellung der Geschlechter noch stärker als bisher in ihre Arbeit einbeziehen. Sie will dafür Sorge tragen, dass Frauen in all ihrer Diversität bei Verhandlungen, Projektplanungen, Konferenzen und Konsultationen repräsentiert sind. Ihre feministische Außenpolitik versteht sie nach eigener Aussage intersektional, das heißt sie berücksichtigt die Verschränkung von und Wechselwirkungen zwischen verschiedenen Benachteiligungen.

In meiner Masterthesis mit dem Titel „Feminist Foreign Policy - Feministische Außenpolitik in Schweden und Kanada“ habe ich versucht, dieser Tatsache entgegenzuwirken und ein Rahmenwerk mit den Merkmalen feministischer Außenpolitik aufzustellen. Dazu habe ich die noch dürftige Literatur untersucht, die sich mit feministischer Außenpolitik in Schweden und Kanada beschäftigt. Schlussendlich kamen dabei 15 Kriterien von Feminist Foreign Policy heraus:

  1. aufmerksam machen auf und der Abbau von gegenderter Gewalt und Konflikten
  2. trans- und internationale Netzwerke und Verträge
  3. Gelder für Entwicklungshilfe
  4. Einbezug der Zivilgesellschaft
  5. besondere Sicherheitsbedürfnisse von Frauen und anderen marginalisierten Gruppen sowie Abrüstung
  6. Idealismus und Pragmatismus/Kohärenz
  7. weibliche Führungskräfte
  8. Inklusion von Männern und Jungen
  9. Dialog
  10. postkoloniale Kritik
  11. Prägung durch die Women, Peace & Security-Agenda
  12. Veränderung von bestehenden, patriarchalen Machtstrukturen
  13. Intersektionalität
  14. besondere Gesundheitsbedürfnisse von Frauen
  15. besonderer Einfluss des Klimawandels auf Frauen

Erstaunlicherweise haben die betrachteten Autorinnen von den meisten Kriterien dieselbe Auffassung, jedoch waren sie sich bei einem Thema uneinig: der Abrüstung. Einige Wissenschaftlerinnen sprachen sich explizit für Abrüstung aus, gedacht vor allem im Zusammenhang mit politischem Dialog. Dabei treten Diplomatie und durch Sprache geleitete Formen der Konfliktverhütung und -lösung an die Stelle von militärischen Mitteln. Genauer gesagt bildet eine Genderanalyse – also die kritische Betrachtung von Sicherheitspolitik aus einer feministischen Sichtweise – die Grundlage für antimilitaristisches Vorgehen. Eine erfolgreiche feministische Außenpolitik kann dementsprechend an den sinkenden Militärausgaben eines Landes gemessen werden.


Neben diesen antimilitaristischen Stimmen gibt es in der Wissenschaft auch Beiträge, für die die Beteiligung von Frauen im Militär sogar ein Zeichen einer gelungenen feministischen Außenpolitik ist. Wichtig ist bei diesen Ansätzen, dass Frauen gezielt die Möglichkeit geboten wird, in das Militär einzutreten und ebenfalls an bewaffneten Konflikten teilzunehmen. Zudem wird der Verwendung von militärischer Gewalt auch bei anderen Autorinnen nicht widersprochen. Militärische Maßnahmen seien in besonderen Ausnahmesituationen – wie dem Schutz des Lebens von marginalisierten Gruppen – durchaus gerechtfertigt. Die schwedische Regierung etwa war lange Zeit an Waffenlieferungen an Saudi-Arabien beteiligt, was für das Land keinen Wiederspruch zur praktizierten feministischen Außenpolitik darstellte.

Trotz dieser beiden unterschiedlichen Meinungen habe ich mich dafür entschieden, Abrüstung als Merkmal feministischer Außenpolitik in mein Rahmenwerk aufzunehmen. Dies geschieht deshalb, weil sich zwar nicht immer explizit für eine Abrüstung ausgesprochen wird, jedoch die besonderen Sicherheitsbedürfnisse von Frauen und anderen marginalisierten Gruppen auch bei anderen Kriterien und Ansätzen in den Vordergrund gestellt werden. So wird vor allem oft dazu aufgerufen, Sicherheit neu zu denken und die vorherrschenden Mittel der Sicherung eines Staates in Frage zu stellen. Das führt für mich am Nachdenken über die Sinnhaftigkeit der Verwendung von militärischen Mitteln nicht vorbei. Mein Verständnis feministischer Außenpolitik lässt sich demnach nicht mit Aufrüstung vereinen.


Das ist jedoch nur meine Auffassung. Ist diese richtig oder falsch? Pazifismus oder Militarismus? Realpolitik oder Ideologie? Schlussendlich muss eingeräumt werden, dass die eingangs gestellte Frage nicht eindeutig beantwortet werden kann. Zumindest nicht durch die Wissenschaft.


Jedoch sollten die Bemühungen um feministische Außenpolitik nicht unterbrochen werden, nur weil Deutschland aufrüstet und Waffen liefert. Schließlich geht es bei Feminist Foreign Policy darum, das Leid von Frauen und anderen marginalisierten Gruppen zu lindern. Und der Schutz von Leben und die Chance auf Frieden müssen immer vorangetrieben werden, sodass wir hoffentlich irgendwann in einer Welt leben, in der von militärischen Mittel kein Gebrauch mehr gemacht werden muss. Unrealistisch? Naja, irgendwo muss man ja beginnen und eine feministische Außenpolitik halte ich für einen guten Anfang.

Titelbild: 

| Miguel Bruna / Unsplash.com (CC0 Public Domain) | Link


Bild im Text: 

| Bündnis 90/Die Grünen (Auswärtiges Amt, Presse) | Link


Beitrag (redaktionell unverändert): Anna Hartmann

Redaktionelle Umsetzung: Florian Gehm

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