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Nach seinem Studium der Soziologie, Philosophie und südasiatischen Geschichte wechselte Ruser zunächst in die Praxis, bevor er 2010 zu "Rentenreformen in Deutschland und Großbritannien" promovierte. Nach Stationen in Mannheim und Berlin ist er nun Akademischer Mitarbeiter am Karl-Mannheim-Lehrstuhl für Kulturwissenschaften an der Zeppelin Universität.
Ist der Rechtsruck mit dem Austritt Luckes und seiner eventuellen Parteigründung unumstößlich?
Dr. Alexander Ruser: Ich bin nicht sicher ob es richtig ist von einem Rechtsruck der AfD zu sprechen. Ich glaube es ist wichtig sich an die Begleitumstände des Aufstiegs der AfD zu erinnern. Die AfD ist ja eine unmittelbare Folge der europäischen Banken- und Staatsschuldenkrise. Die öffentlichen Debatten über diese Krise – das hat unter anderem James K. Galbraith in seinem 2014 erschienen Buch The End of Normal gezeigt – waren von Anfang an durch zwei Erzählungen bestimmt.
Zum einen das Narrativ der „vernünftigen Wirtschaftspolitik“ die vor allem darauf abzielt das „Vertrauen der Märkte“ zurückzugewinnen. Die Art und Weise wie diese Geschichte erzählt und mit der Etablierung der diversen „Rettungsmechanismen“ auch institutionalisiert wurde war von vornherein auf eine technokratische Lösung ausgerichtet. Ich komme darauf noch zurück.
Zum anderen darf aber nicht vergessen werden, dass die Krise gerade in Deutschland auf einer hochemotionalen Ebene verhandelt wurde. Dabei wurden und werden nationale Stereotypen - etwa der des chaotischen und desorganisierten Südländers – bedient.
...Moment, Herr Ruser! Was ist den jetzt mit dem Rechtsruck der AfD?
Ruser: Dazu wollte ich gerade kommen: Es ist aber wichtig zu verstehen, dass in Deutschland geführte Krisendiskurs aus zwei Teilen besteht. Einer akademisch rationalen, ja technokratischen Hälfte. Hier werden emotionslos „alternativlose“ Rezepte europäischer Institutionen kommuniziert und das ganze Problem als technische Störung oder Störfall im Finanzsystem portraitiert der nur durch die Befolgung des Expertenrats beizukommen sei. Gleichzeitig gibt es aber die zweite, die emotionale Hälfte, welche die Krise als Problem einer ungleichen Schicksalsgemeinschaft zeigt. Hat der Euro nicht die fleißige und sparsame Schwäbische Hausfrau in eine WG mit lässigen Lebemann von der Ägäis gezwungen?
Die AfD hat beide Hälften bedient. Der Rechtsruck ist also nichts Neues. Es wird nur ein schon vorhandenes Element betont...
Wissenschaftlicher Sachverstand war also wichtig für den Aufstieg der AfD?
Ruser: Genau. Bernd Lucke ist der prototypische Technokrat. Ein etwas steifer Professor der ohne emotionales, „politisches“ Getöse einfach ein paar ökonomische „Wahrheiten“ aussprechen möchte. Das hat sicherlich auf einige Menschen einen Reiz ausgeübt.
Aber Lucke hatte mit seiner professoralen Art ja offensichtlich keinen langfristigen Erfolg, oder?
Ruser: Das ist richtig. Natürlich kann man das Scheitern von Herrn Lucke als Parteivorsitzenden der AfD, dem ja offenbar interne Querelen und Machtkämpfe vorangegangen sind – nicht per „Ferndiagnose“ abschließend erklären. Ich glaube aber, dass ein Grund für die internen Spannungen genau in dem Doppelcharakter des Krisendiskurses liegt. Man könnte vielleicht sagen, dass Frau Petry erkannt hat, dass die AfD die emotionale Seite der Krise nicht vernachlässigen kann und das man als Politiker viel leichter auf der Klaviatur des Ressentiments spielen kann als zu versuchen Wähler mit technischen Analysen zu begeistern.
Die „Klaviatur des Ressentiments“ klingt aber so, als würden wir uns schon wieder von der Analyse entfernen, bei der wir doch bleiben wollten.
Ruser: Na gut. Das ist es vielleicht ein bisschen mit mir durchgangen. Andererseits: Der Kampagnenjournalismus, zum Beispiel die BILD „Selfie Aktion“, und die allgemein aufgeheizte Stimmung vor allem in der Griechenland Berichterstattung lassen schon ein akademischen Comeback von Ellsworth Huntington befürchten.
Huntington ist aber schon 15 Jahren gestorben, bevor von Lucke das Licht der Welt erblickte?
Ruser: Huntington hat in den 1920er Jahren über den Zusammenhang zwischen Klima, Kulturentwicklung und „Rasse“ geschrieben. Er war der Meinung, dass das kühle nordeuropäische Klima die kulturelle Überlegenheit „nordischer Rassen“ erklärt. Ich finde das übrigens total plausibel. Schließlich weiß man heute, dass die Pyramiden von Gizeh ebenso wie Machu Pichu von Norwegern erbaut wurden.
Trotzdem aus Gizeh zurück zur AfD!
Ruser: Genau. Entschuldigung. Wie gesagt, ich denke, dass Frauke Petry die eurokritische Position der AfD erhalten will aber dazu mehr auf den emotionalen Aspekt der Krise abstellt. Man darf in diesem Zusammenhang auch nicht vergessen, dass öffentliche Debatten (auch vom Boulevard gesteuerte) niemals ganz „ordentlich“ verlaufen. Von „wir sollen für die Griechen zahlen“, über „Deutschland kann nicht alle Flüchtlinge aufnehmen“ bis hin zu „Ausländer raus“ ist es für viele leider nicht weit. Insofern ist es auch keine all zu große Überraschung dass sich innerhalb der AfD eine Schnittmenge von Leuten findet, die sowohl gegen die griechische „Chaostruppe“ als auch gegen Migranten in Dresden sind.
Wie schätzen Sie dann den weiteren Erfolg der AfD ein? Wird sie sich am rechten bürgerlichen Rand etablieren können?
Ruser: Ich glaube das hängt auch ein bisschen davon ab, wie generell über die Eurokrise berichtet wird bzw. ob es die etablierten Parteien in Zukunft schaffen der populistischen Versuchung zu widerstehen. Gerade in den letzten Wochen, als die Griechen die wahnsinnige Idee hatten Zukunftsfragen demokratisch legitimieren zu lassen, haben sich ja auch Spitzenpolitiker von CDU/ CSU und SPD ja nicht mit schulmeisterlichen Kommentaren zurückgehalten. Man kann nicht gleichzeitig einem Mitgliedsstaat der EU pausenlos anempfehlen sein „Hausaufgaben“ zu machen und gleichzeitig vor Populismus warnen.
Was das für den Erfolg der AfD bedeutet? Das ist schwerer zu beantworten. Ich denke, dass Medien und Parteien gut beraten wären in den Debatten weniger auf nationale Stereotype zu setzen. Vielleicht wäre sogar eine Rückkehr zur „technokratischen“ wirtschaftswissenschaftlichen Analyse eine Möglichkeit. Vielleicht könnte man zur Abwechslung nicht atemlos die disparaten Schwankungen der Börsen belauern, sondern eine umfassende Analyse struktureller Wettbewerbsvorteile (z.B. der Bundesrepublik) vornehmen?
Dann würde die AfD alleine am rechten Rand fischen und möglicherweise würde die Nähe zu rassistischen Stadtspaziergänger von PEGIDA (falls das ein PEGIDA Mitglied ließt. Meine Adresse für hatemail ist ja bekannt) den ein oder andern „Eurokritiker“ dann doch abschrecken...
Leider steht aber zu befürchten, dass die etablierten Parteien dieses „Wählerpotenzial“ nicht der AfD überlassen will. Ganz nach dem Motto von Franz-Josef Strauss: „Rechts von der CSU ist die Wand!“
Hat die von Bernd Lucke neu gründet Partei ALFA das Zeug dazu der AfD „gemäßigte“ Eurokritiker streitig zu machen: Wie schätzen Sie allgemein die Rolle und die Erfolgschancen der neuen Partei ein?
Ruser: Ich muss zugeben, als ich den Namen der neuen Lucke Partei „ALFA“ (Allianz für Fortschritt und Aufbruch) zum ersten Mal gehört habe, dachte ich zunächst an einen Scherz der TITANIC. Eine ähnlich inhaltsleere Politikjargon-Persiflage findet sich sonst nur im Namen der Satirepartei Partei für Arbeit, Rechtsstaat, Tierschutz, Elitenförderung und basisdemokratische Initiative.
In Wirklichkeit ist es natürlich kein Scherz. Ob es aber auch mehr ist als die Trotzreaktion von Herrn Lucke wird sich noch zeigen müssen. Ich denke viel wird davon abhängen, ob die ALFA die politische Heimat für weitere ehemalige Protagonisten der AfD werden kann (z.B. Hans Olaf Henkel) oder ob sie für den wirtschaftsliberalen Teil der alten AfD zu einer Art „Quarantänezone“ für die Rückkehr zu etablierten Parteien (z.B. der FDP) wird.
Entscheidend wird aber auch sein ob es Lucke gelingt neben der Eurokritik weitere Themen zu besetzen. Vor allem jetzt wo die emotionalen (oder auch populistischen) Themen von Frauke Petry´s AfD bespielt werden, wird das eine ganz zentrale Herausforderung. So weit ich sehen kann (bzw. so weit man das den medialen Äußerungen von Herrn Lucke entnehmen kann) versucht die ALFA sich als Stimme der Vernunft und bewusst „unaufgeregt“ zu geben. Innovationsförderung und „vernünftige“ Lösungen z.b. in Fragen der Medizinethik sind geeignete Forderungen um sich gegen die „Volksnähe“ der neuen AfD abzugrenzen.
Ob das auf Dauer reicht hängt aber wie gesagt nicht von Bernd Lucke allein ab.
Insgesamt dürften es aber beide Gruppen schwer haben. Die ALFA weil Politik als rational technische Veranstaltung in modernen Mediendemokratien kaum funktionieren kann. Die AfD weil sie gezwungen sein könnte in einer emotional ohnehin aufgeheizten Debatte einfach aus Gründen der Sichtbarkeit weiter zu radikalisieren und so die ursprünglichen Wähler, die Eurokritiker, zu verlieren.
Titelbild: blu-news.org / flickr.com (CC BY-SA 2.0)
Bilder im Text: „ALFA Kassel2“ von Mathesar - Eigenes Werk.
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blu-news.org / flickr.com (CC BY-SA 2.0)
"Bernd Lucke auf der Bundeswahlversammlung am 24.1.2014" by Mathesar - Eigenes Werk. Lizenziert unter CC BY-SA 3.0 über Wikimedia Commons.
Redaktionelle Umsetzung: Florian Gehm & Alina Zimmermann