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Marionetten, Menschen, Maschinen
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Ringvorlesung Ökologien des Menschlichen

Marionetten, Menschen, Maschinen

Interview: Florian Gehm | Redaktion
16.02.2016
Den Begriff Ökologien verwenden wir in der Vortragsreihe also nicht im Sinne einer konkreten umweltpolitischen Haltung. Der Mensch benimmt sich denn auch nicht gegenüber einer Umwelt, er erzeugt sie!

Prof. Dr. Karen van den Berg
Lehrstuhl für Kunstheorie und Inszenatorische Praxis
 
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    Zur Person
    Prof. Dr. Karen van den Berg

    Professor Dr. Karen van den Berg ist Professorin für Kulturtheorie und inszenatorische Praxis an der Zeppelin Universität. Sie studierte Kunstwissenschaft, Klassische Archäologie und Nordische Philologie in Saarbrücken und Basel, wo sie auch promovierte. Von 1993-2003 war sie Dozentin für Kunstwissenschaft am Studium fundamentale der Privaten Universität Witten/Herdecke. Seit 1988 realisiert sie als freie Ausstellungskuratorin zahlreiche Ausstellungsprojekte in öffentlichen Räumen und in Kunstinstitutionen. Ihre Forschungsschwerpunkte sind u.a. Kunst und Öffentlichkeit, Kunstvermittlung und Politik des Zeigens, Kunst und Emotionen, Rollenmodelle künstlerischen Handelns sowie die sozialen Effekte von Bildungsarchitekturen. 

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„Ökologie“ steht für ziemlich jede Forschung zum Verhalten von Organismen zu ihrer Umwelt. In den Vorlesungen soll es um die „Ökologie des Menschlichen“ gehen. Wie benimmt sich denn der Mensch im Januar 2016 gegenüber seiner Umwelt? 


Prof. Dr. Karen van den Berg: Zunächst verwenden wir hier nicht umsonst den Plural und sprechen von „Ökologien“. Es gibt also nicht die eine naturhafte Umwelt, sondern immer nur differente Umwelten. Und als Umwelten des Menschen sind diese immer auch kommunikativ erzeugte. Der Begriff der Atmosphäre beschreibt vielleicht am besten, was die „Ökologien des Menschlichen“ ausmacht. Für die Atmosphäre ist es wesentlich, dass sie ein Phänomen des interagierenden Empfindens ist und als solche intersubjektiv geteilt wird. Auf diese Weise bestimmt sie das Handeln und Denken. Den Begriff Ökologien verwenden wir in der Vortragsreihe also nicht im Sinne einer konkreten umweltpolitischen Haltung. Der Mensch benimmt sich denn auch nicht gegenüber einer Umwelt, er erzeugt sie! Und was das Ganze noch komplizierter macht: In dieser interagierend erzeugten Umwelt ist er selbst enthalten. Sie ist also weder factum brutum im Sinne einer Welt „da draußen“ und auch nicht Produkt intentionalen Denkens, sondern etwas permanent bewusst oder unbewusst Hergestelltes. Die Umwelt von Menschen im Krieg zum Beispiel ist bestimmt durch wandernde Frontlinien und Gefahrenzonen, die Umwelt einer Internetaktivistin durch Daten und Codes, die einer Astrophysikerin durch Kraftfelder, Sonnensysteme und Schwarze Löcher usw. Was wir in unserer Vortragsreihe beleuchten werden, sind Fragen, wie sich der Mensch in seinem jeweiligen Lebensraum entwirft. Dies tun wir anhand von Filmen, Bildern, Musikstücken und literarischen Texten.

Ganz unrecht haben Naturwissenschaftler nicht: Denn auch wenn das aktuelle Erdzeitalter möglicherweise nicht nur vom Menschen gemacht ist, hat er doch in vielen Fragen seine Finger im Spiel. Eine Satellitenaufnahme der Erde gibt anhand der sichtbar gemachten Lichtverschmutzung einen Eindruck der Größenordnung menschlichen Einflusses auf die Umwelt. Nach einem Vorschlag britischer Geologen soll als Beginn des „Anthropozäns" das Jahr 1800 – der Beginn der Industrialisierung – festgelegt werden. Untersuchungen von Eisbohrkernen ergaben, dass seither die Konzentration von Methan und CO2 zuzunehmen beginnt.
Ganz unrecht haben Naturwissenschaftler nicht: Denn auch wenn das aktuelle Erdzeitalter möglicherweise nicht nur vom Menschen gemacht ist, hat er doch in vielen Fragen seine Finger im Spiel. Eine Satellitenaufnahme der Erde gibt anhand der sichtbar gemachten Lichtverschmutzung einen Eindruck der Größenordnung menschlichen Einflusses auf die Umwelt. Nach einem Vorschlag britischer Geologen soll als Beginn des „Anthropozäns" das Jahr 1800 – der Beginn der Industrialisierung – festgelegt werden. Untersuchungen von Eisbohrkernen ergaben, dass seither die Konzentration von Methan und CO2 zuzunehmen beginnt.

Aus der Ankündigung lese ich auch eine leichte Kritik, vielleicht eine Warnung, vor zunehmender künstlicher Intelligenz heraus. Wird die künstliche Intelligenz für das „Menschsein“ irgendwann zur Gefahr?


van den Berg: Der Entwicklung künstlicher Intelligenz mit kulturpessimistischem Lamento oder irgendwelchen finsteren Endzeitszenarien zu begegnen, scheint mir ebenso fehl am Platz wie die euphorische Feier optimierter Superbrains. Was uns in der Vortragsreihe interessiert, ist ein historisch interpretativer Blick darauf, wie sich das Verständnis der conditio humana wandelt. Es gibt ja keineswegs nur eine Vorstellung von der contitio humana. Die Künste sind für solche Fragen ein exzellentes Feld. Operetten und Filme, Romane und Medienkunstwerke sind reine Fundgruben für Themen wie das Mensch-Maschine-Verhältnis, Reisen in den Weltraum und Ähnliches. Gerade weil sie fiktive Geschichten erzählen, erzeugen sie Realitäten. In den Künsten wird ausgelotet, was es bedeuten könnte, Mensch zu sein jenseits des terrestrischen Lebens, was es bedeuten könnte, wenn sich Gefühle, das Denken und die gesamte Identität in Daten auflösen, wie sich Jenseitsversprechen und die Bedeutung der Religion verändern durch Reisen ins Universum.

Dieses „Menschsein“ soll in Film, Literatur, Musik und Kunst untersucht werden. Sie erklären, dass gerade hier die Natur des Menschen so gerne von ihrer „schlechten“ Seite dargestellt wird. Woher kommt dieser Drang?


van den Berg: Menschliche Abgründe und menschliches Versagen auszuleuchten, bietet einfach mehr Erzählstoff als das „gute Leben“. In der Philosophie dagegen sind genau diese Abgründe unterbelichtet. Hier sind wir plötzlich alle vernunftbegabte rationale Wesen. Mörder und Vergewaltiger kommen hier eher selten vor.

Die Ringvorlesung widmet sich zwei Themenschwerpunkten: Dem Unmenschlichen und der Thematik hybrider Körper und ihrer Identität. Können Sie erklären, was sich vor allem hinter dem zweiten Schwerpunkt verbirgt?


van den Berg: Der zweite Schwerpunkt ergibt sich einerseits aus dem Interesse des Zeppelin Museums an diesem Thema. Die Veranstaltungsreihe ist ja mit diesem Museum gemeinsam entwickelt worden. Das Verhältnis von Mensch und Technik am Beispiel von Luft- und Raumfahrt steht im Zeppelin Museum ja im Zentrum des Interesses. Mich hat vor allem interessiert, dieses Thema aus einer kunst- und kulturwissenschaftlichen Sicht anzugehen.

Den Kampf „Mensch gegen Maschine" gewinnt der Mensch nur noch selten – und das im „Anthropozän". Heute bewegen sich Maschinen schneller fort, sie informieren uns umfassender über Nachrichten und Ereignisse und verarbeiten Daten und Befehle in Bruchteilen einer Sekunde. Beim Schneeberglauf im niederösterreichischen Puchberg stellen sich jedes Jahr seit 1997 einige hundert Mutige dem Kampf gegen eine Zahnradbahn. Die Steigung beträgt durchschnittlich 12 Prozent, an manchen Stellen sogar bis zu 20 Prozent. Das gemeinsame Ziel ist der Bahnhof Hochschneeberg am Schneeberg in einer Seehöhe von 1800 Metern. Das Rennen Mensch gegen Maschine geht dabei immer sehr knapp aus, jedoch konnten die Läufer bisher deutlich mehr Siege als die Zahnradbahn einfahren – aktuell steht es 12:4 für die Läufer.
Den Kampf „Mensch gegen Maschine" gewinnt der Mensch nur noch selten – und das im „Anthropozän". Heute bewegen sich Maschinen schneller fort, sie informieren uns umfassender über Nachrichten und Ereignisse und verarbeiten Daten und Befehle in Bruchteilen einer Sekunde. Beim Schneeberglauf im niederösterreichischen Puchberg stellen sich jedes Jahr seit 1997 einige hundert Mutige dem Kampf gegen eine Zahnradbahn. Die Steigung beträgt durchschnittlich 12 Prozent, an manchen Stellen sogar bis zu 20 Prozent. Das gemeinsame Ziel ist der Bahnhof Hochschneeberg am Schneeberg in einer Seehöhe von 1800 Metern. Das Rennen Mensch gegen Maschine geht dabei immer sehr knapp aus, jedoch konnten die Läufer bisher deutlich mehr Siege als die Zahnradbahn einfahren – aktuell steht es 12:4 für die Läufer.

Ihr eigener, eröffnender Vortrag beschäftigt sich mit Altären der Folter und Grausamkeit. Spontan denkt man dabei natürlich ans Mittelalter und die Inquisition. Ist das zu kurz gedacht? 


van den Berg: Nein, keineswegs. Aber mich hat immer schon fasziniert, dass eine Religion wie das Christentum eine Folterszene zu einem zentralen gemeinschaftsstiftenden Symbol gemacht hat. Das ist doch einigermaßen erstaunlich, dass der zerschundene Körper eines Menschen angebetet wird.

Abschließend ein kleiner Ausblick auf die Vorlesungen bis Ende Mai: Können Sie beschreiben, was regelmäßige Besucher noch erwartet?
 

 
van den Berg: Wir haben in diesem Jahr, dank der Förderung der Kulturstiftung des Bundes und der Kooperation mit dem Zeppelin Museum, eine ganze Reihe hochkarätiger Expert*innen gewinnen können. Es haben sich aber auch wieder altbewährte Kolleg*innen bereit erklärt, eigens zu dieser Thematik etwas auszuarbeiten. Neben Beiträgen zur Bildenden Kunst von Frank Fehrenbach, Eva Schürmann, Stephan Schmidt-Wulffen und mir wird es Vorträge aus den Filmwissenschaften geben, etwa einen zu Stanley Kubricks „2001– Odyssee im Weltraum“ von Lorenz Engell, es wird einen Beitrag zur Mensch-Tier-Unterscheidung geben vom St. Gallener Philosophen Dieter Thomä im Anschluss an die Literatur des 19. Jahrhunderts und einen zu Dantes Hölle von Thorsten Philipp. Maren Lehmann wird einen Vortrag zum Philosophen und Schriftsteller Lavater halten, der sich mit dem Thema der menschlichen Physiognomie befasst hat, und Joachim Landkammer zu Puppen, Marionetten und Nussknackern in Oper und Ballett.

Titelbild: 

| Oscar Keys / unsplash.com (CC0 Public Domain)


Bilder im Text: 

| Marc Imhoff / NASA GSFC und Christopher Elvidge / NOAA NGDC (Image by Craig Mayhew and Robert Simmon / NASA GSFC)

Steindy / Eigenes Werk (CC BY-SA 2.0 de


Redaktionelle Umsetzung: Florian Gehm

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