Dass der Lebensstil etwas über die eigene Persönlichkeit verrät, ist klar. Aber dass auch das Brot, das man täglich isst, Identität schafft, ist neu. Die Kruste noch leicht mehlbestäubt, das Innere ofenwarm und der erste Biss das Beste am Sonntagmorgen: Frisches Brot macht glücklich. Besonders in Deutschland, wo es eine so große Auswahl gibt wie nirgendwo sonst. Aber Brot begeistert nicht nur die Geschmacksnerven, sondern ist auch identitätsstiftend. Auf welche Art und Weise erklärt ZU-Alumna Mara Skowronek in ihrer Masterarbeit.
Hohl wie eine Nuss oder dumm wie Brot | Die Umfrage zum Award
Knapp 80 Kilogramm Brot und Backwaren werden in Deutschland pro Kopf verzehrt. 2014 waren 3.553 Brotspezialitäten in Deutschland registriert, was es zum wichtigsten Brotland der Welt macht– dies sind einige Erkenntnisse, die Mara Skowronek in ihrer Masterarbeit „Lebensmittel als Ausdruck persönlicher Identität am Beispiel Brot“ herausgefunden hat. „In welchem Zusammenhang stehen Mensch und Lebensmittel im 21. Jahrhundert?“, das war die Frage, die sich die 26-Jährige anfangs stellte. Ihre Wahl fiel auf Brot. Sie wollte herausfinden, auf welche identitätsstiftenden Merkmale der Kauf eines bestimmen Brots schließen lässt und welche Normen und Werte mit diesem Produkt in Verbindung stehen.
Denn die meisten Menschen haben die Qual der Wahl, was ihre Ernährung betrifft. Zum einen sind sie nicht, wie etwa die meisten Tiere, daran gebunden, sich auf eine bestimmte Art und Weise zu ernähren, um zu überleben. Vegetarisch, vegan oder doch ganz viel Fleisch – das ist alles dem Individuum überlassen. Gleichzeitig wird er Einzelne im Supermarkt mit einer immer größer werdenden Auswahl an Lebensmitteln konfrontiert, was gelegentlich mit Überforderung einhergeht, da er sich aktiv für oder gegen ein Produkt entscheiden muss. Diese Entscheidung hat aber nicht nur mit einem möglichen Knurren im Magen zu tun, sondern auch damit, dass sie etwas über die Identität und den Lebensstil des Konsumenten aussagt. Die Wahl im Supermarkt ist somit zu einer höchst individuellen Angelegenheit geworden.
Eine kleine Kostprobe: Der Abstract der Arbeit zum „probieren"
Die Frage, die sich Mara Skowronek gestellt hat, ist wie Identität und bestimmte Lebensmittel – in diesem Fall Brot – zusammenhängen. „Auffällig war, dass es zu diesem Thema schon reichlich Literatur gab, die bestätigte, dass es eben jenen Zusammenhang gibt. Keiner Arbeit lag jedoch eine wissenschaftlich fundierte Untersuchung zugrunde, die sich ausführlich mit diesem Zusammenhang beschäftigte,“ sagt Skowronek. „Ich musste zunächst also ein Identitätsmodell kreieren, mit dessen Hilfe ich meine Fragestellung „Sind Lebensmittel identitätsstiftend?“ untersuchen konnte. Das Identitätsmodell, das ich schließlich schuf, bediente sich der unterschiedlichsten Fachrichtungen - von den allgemeinen Kulturwissenschaften über Ernährungswissenschaften bis hin zu Soziologie, Pädagogik und Psychologie. Ganz im Sinne der ZU also eine interdisziplinäre Masterarbeit.“
Deutschland ist Weltmeister und zwar nicht nur im Fußball: Hier isst jeder Einwohner knapp 70 Kilo Brot und Backwaren pro Jahr und es entstehen die meisten Erfindungen und Neukreationen aus Mehl, Wasser, Hefe und anderen Zutaten. Aber Brot ist keine Erfindung Deutschlands. Bereits vor 30.000 Jahren bereiteten unsere Vorfahren komplexe Speisen aus Mehl zu. Den ersten Hochkulturen, wie etwa den pharaonischen Ägyptern, gelang dann das erste gebackene Brot.
Das Identitätsmodell, das Skowronek in ihrer Arbeit vorstellt, geht davon aus, dass vor allem drei Dimensionen die Identität des Einzelnen konstruieren: die persönliche Biographie sowie der soziale und kulturelle Kontext. Sie prägen das Selbstbild einer Person und damit die Werte, Normen und Überzeugungen, die der Einzelne vertritt. Dieses Selbstbild ist allerdings nicht sichtbar und wird nur in den aktiven Handlungen des Einzelnen erkennbar, wie etwa in seinem Lebensstil oder Habitus, angelehnt an Pierre Bourdieu. Für den Verzehr bestimmter Lebensmittel bedeutet dies: Das, was ich esse, kann oftmals Rückschlüsse über meine Biographie sowie meinen sozialen und kulturellen Kontext geben.
Mara Skowronek hat dabei zwei Aspekte näher untersucht, die beim Kauf von Brot und Backwaren Rückschlüsse über die eigene Identität geben könnten. Zum einen handelt es sich um die Dimension der Herkunft. Hierunter fallen Aspekte wie die individuelle „Essbiographie“ und bestimmte Essrituale, genauso wie das Essverhalten in der Familie und das der Eltern. Auch die geographische Herkunft spielt dabei eine Rolle, denn das Essverhalten spiegelt ethnische und regionale Besonderheiten wieder. So ist das Pumpernickel auf westfälischen Tellern Zuhause, während man sich im Süden Seelen schmiert.
Zum anderen könnte das persönliche Wissen über das, was man verzehrt, ein weiterer Aspekt sein, der bei der Brotauswahl entscheidend sein könnte. Es geht zum einen darum zu wissen, wie qualitativ hochwertig das Lebensmittel ist, zu dem man gerade im Supermarkt greift. Was man unter Qualität versteht, setzt sich allerdings aus vielen einzelnen Komponenten zusammen und der letztendliche Qualitätsanspruch ist immer individuell. Auch das Wissen bezüglich gesundheitsfördernder oder –schädigender Eigenschaften von Lebensmitteln ist ausschlaggebend. Sei es bio, selbstgekocht oder mit wenig E-Nummern zubereitet– wer über seine Ernährung Bescheid weiß, isst mit einer größeren Wahrscheinlichkeit gesünder. Schließlich könnte auch das Wissen über die Natürlichkeit der Lebensmittel entscheidend sein, besonders in einer Zeit, in der die Wertschöpfungskette immer intransparenter zu werden scheint und der Konsument gar keine Kontrolle mehr darüber hat, was mit den Lebensmitteln passiert, die auf seinem Teller landen.
Der Mensch ist, was er isst. Dieser Satz von Ludwig Feuerbach veranlasste ZU-Alumna Mara Skowronek dazu, sich mit dem Verhältnis von Lebensmitteln und Identität näher auseinanderzusetzen. Was allerdings gar nicht so einfach war, denn es gab noch kein Modell, dass sich explizit damit auseinandergesetzt hat. Zudem stellen sich viele verschiedene Disziplinen die Frage nach der Identität, sodass es einfach war, einen Ansatz zu finden. Skowronek entschied sich dann dafür, ein eigenes Modell zu entwickeln.
Um ihren Hypothesen auf den Grund zu gehen, betrieb ZU-Alumna Mara Skowronek Feldforschung und befragte knapp 70 Brotkonsumenten. „Mir war klar, dass man sich einem solchen Thema nicht quantitativ nähern kann, sondern qualitativ arbeiten muss“, so Skowronek. Sie stellte sich deswegen in eine herkömmliche Bäckerei, besuchte verschiedene Bio-Bäcker auf einem Bio-Markt und nahm an einem Brotbackkurs teil. „Um regionale Einflüsse auf den Brotkonsum zu minimieren, fanden die Untersuchungen in unterschiedlichen Regionen Deutschlands statt.“ Ihr ging es bei der Befragung vor allen Dingen um spontane und assoziierende Äußerungen, um somit den persönlichen Bezug der Befragten zum Brot zu erfassen: „Wenn Sie an Brot denken, was kommt Ihnen zu allererst in den Sinn?“. Bei einer semantischen Untersuchung der Interviews stellte Skowronek fest, dass im Zusammenhang mit Brot besonders häufig die Adjektive „natürlich, frisch, lecker“ und „toll“ fielen.
Skowronek fand heraus, dass es bei allen drei Formen von Herkunft einen signifikanten Zusammenhang gab. Auffällig war, dass besonders bei Erinnerungen an die eigene „Brot-Essbiographie“ die Großmutter eine Rolle spielte und der Verzehr von Brot mit Geborgenheit, Wärme und auch explizit Heimat verbunden wurde. Auch scheinen die Rituale in der Familie entscheidend zu sein. Besonders im Kreis der Familie wird Brot gern verzehrt – sei es beim Abendbrot oder beim sonntäglichen Frühstück. Hier fiel auf, dass der gemeinsame Brotverzehr durch Regelmäßigkeiten und feste Strukturen bestimmt wird.
In ihrer Masterarbeit untersuchte Skowronek dabei zwei identitätsstiftende Determinanten: Herkunft und Bildung. Die Herkunft in Bezug auf das Lebensmittel Brot stellt Fragen nach der eigenen Essbiographie, familiären Ritualen und geographischen Traditionen. Bezüglich der Bildung wollte Skowronek erfahren, wie viel und was Brotkonsumenten über ihr Produkt eigentlich wissen.
Der geographische Bezug zwischen Brot und Identität wurde dann deutlich, wenn die Befragten ihr Lieblingsbrot nicht konsumieren konnten: im Ausland. Besonders diejenigen Befragten, die für längere Zeit im Ausland gewesen waren, erzählten turbulente Geschichten. Ein Brotliebhaber, der für drei Jahre in Portugal gelebt hatte, legte jedes Wochenende 140 Kilometer hinter sich - für ein Laib deutsches Brot. Ein anderer Befragter hatte sich sicherheitshalber deutsches Brot, das länger haltbar war, in den Koffer gelegt. Kein ausländisches Brot scheint an das deutsche heranzukommen, was vermutlich daran liegt, das auch bei dieser Kategorie die starke Verbindung zwischen Brot und Heimat deutlich wird – Brot ist für die Befragten ein Stück deutsche Kultur. Dagegen kommen italienisches Weißbrot, französisches Baguette oder chinesische Delikatessen nicht an.
Auch bezüglich des Wissens konnte Skowronek einen positiven Zusammenhang erkennen. Den Befragten schien die Natürlichkeit des Brots wichtig zu sein, genauso wie die Qualität des Brots und viele wussten um seine gesundheitsfördernden oder –schädigenden Aspekte. So sprachen sich einige gegen Weißbrot aus und für Vollkornmehl mit Körnern. Brot wird anscheinend mit Gesundheit und auch Natürlichkeit in Verbindung gebracht.
Auffällig war, dass zwar viele von der Qualität des Brotes sprachen, aber das, was sie unter Qualität verstanden, eine große Bandbreite abdeckt. So thematisierten ein paar Befragte die Inhaltsstoffe und die Herstellungsweise des Brots, nannten sogar bestimmte Qualitätssiegel als Auswahlkriterium. Für andere Brotliebhaber ging es bei Qualität vielmehr darum, wie das Brot ihre Sinne anzusprechen hat – knusprige Kruste, kein allzu weiches oder krümeliges Inneres, eher dunkel, schön geformt und gut duftend. „Viele Befragte gerieten geradezu ins Schwärmen als sie vom einzigartigen Duft und Geschmack von Brot berichteten. Brot nimmt also doch eine wichtige Rolle in der deutschen Ernährung ein - auch in Zeiten, in denen Low Carb und ähnliche Ernährungstrends scheinbar Hochkonjunktur haben.“
Da läuft einem das Wasser im Mund zusammen. Skowronek fand heraus, dass viele Befragten genau wussten, wie ihr Brot auszusehen und zu schmecken hat – dazu gehörte eine knusprige Kruste, eine dunkle Farbe, viele Körner und kein zerbröselndes Inneres. Es soll nach Brot riechen und „gesund“ und „lecker“ schmecken. Interessant war, dass Weißbrot bei vielen Befragten durchfiel, da es heutzutage nicht mehr als gesundheitsfördernd gilt.
Unterschiede zwischen den Befragten waren vor allem ortsabhängig – besonders die Frage, ob Brot gesundheitsfördernd sei oder nicht, spielte für die Konsumenten in der herkömmlichen Bäckereifiliale kaum eine Rolle, während die Befragten auf dem Öko-Markt sehr viel wert darauf legten. Die Qualität des Brotes war den Teilnehmern des Brotbackkurses am wichtigsten, da hier der Beweggrund für ihre Teilnahme damit eng verknüpft war: Sie wollten Kontrolle über die Zutaten und den Herstellungsprozess haben und selbstbestimmt ihr Brot backen.
„Interessant war zudem, dass es geschlechtsspezifische Unterschiede gab. So haben Männer bspw. wesentlich seltener gesundheitliche Motive genannt, die den Kauf ihres Brots beeinflussen“, stellt die ZU-Alumna fest.
Die Erkenntnisse dieser Untersuchung könnten besonders für Brothersteller von Interesse sein. Wie etwa die Tatsache, dass der Brotverzehr als auch der -kauf oftmals im familiären Rahmen stattfinden, könnte als Marketingstrategie aufgegriffen werden: Plakate, die glückliche Familien beim Frühstück zeigen oder Werbespots, bei denen der Besuch beim Bäcker zu einem kulinarischen Erlebnis wird. Auch die Tatsache, dass die geographische Herkunft von Bedeutung ist, könnte verstärkt genutzt werden, indem etwa vermehrt Produkte mit regionalen Rohstoffen hergestellt werden oder der Name des Produkts auf seine Regionalität hinweist. Laut Skowronek erzeugt dies ein stärkeres Vertrauen, besonders in Zeiten, in denen Lebensmittelskandale zum Alltag dazugehören.
Skowroneks Erkenntnisse könnten auch die Backindustrie interessant sein. Sie empfiehlt, regionale Zutaten zu verwenden und den diversen Teigwaren Namen zu geben, die auf ihre Regionalität zurückschließen lassen. Dies weckt bei den Konsumenten vertrauen. Auch fiel Skowronek bei ihren Beobachtungen auf, dass Brot oftmals in Begleitung von Kindern gekauft wurde. Werbung, die Familien beim Brotkauf oder –verzehr zeigt, könnte als Marketingstrategie fruchten.
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Auch könnten Bäckereien das Wissen ihrer Konsumenten über ihre Brot und Backwaren nutzen, in dem sie etwa auf die gesundheitsfördernden Eigenschaften von Brot und dem verarbeiteten Getreide hinweisen. Eine transparente Kommunikation sichtlich der Inhaltstoffe und Herstellungsweise könnte sich positiv auswirken.
Schließlich bleibt noch eine Frage offen. Wie sehr ist für Mara Skowronek Brot identitätsstiftend? „Brot ist durchaus identitätsstiftend für mich. Ich selbst stamme aus einer Bäckerfamilie. Mein Vater ist Inhaber und Geschäftsführer einer mittelständischen Bäckerei. Von klein auf sind mir der Brotduft und -geschmack vertraut und vermitteln mir ein Gefühl von Heimat. Gerade während meiner Auslandsaufenthalte habe ich gemerkt, wie wichtig mir Brot ist und dass zu einer zünftigen Brotzeit einfach ein gutes Brot dazu gehört.“
Titelbild: Chris Zielecki / flickr.com (CC BY-NC-SA 2.0)
Bilder im Text: Jari Latvala flickr.com (CC BY-NC-ND 2.0)
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Redaktionelle Umsetzung: Florian Gehm & Alina Zimmermann