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Filippa von Nell, gebürtige Berlinerin, schloss im Januar 2016 ihr Bachelorstudium an der Zeppelin Universität im Studiengang Sociology, Politics and Economics ab. Ihre Abschlussarbeit wurde als beste Arbeit im Fachbereich mit dem „Best Bachelor Thesis Award“ der Zeppelin UniversitätsGesellschaft (ZUG) ausgezeichnet. Während ihres Studiums absolvierte von Nell ein Auslandssemester an der Universitat Abat Oliba CEU in Barcelona, Praktika führten sie unter anderem nach Kuala Lumpur, Berlin und München. Aktuell sammelt von Nell weitere Praxiserfahrung bei der „Aktion gegen den Hunger“ in Berlin und unterstützt den Bereich Partnerschaften mit Unternehmen und Stiftungen. In ihrer Freizeit gibt sie zudem Deutschunterricht für Geflüchtete in Zusammenarbeit mit dem Verein „Multitude e.V.“ in Berlin-Charlottenburg.
Zunächst eine ganz persönliche Frage: Wie bist Du auf das Thema Deiner Bachelorarbeit gestoßen?
Filippa von Nell: Mit den unterschiedlichen Allokationsmechanismen auf Matching-Märkten und der Forschungsdisziplin des Marktdesigns hatte ich mich schon im Rahmen einiger früherer Hausarbeiten auseinandergesetzt. Besonders fasziniert haben mich die Beiträge des Nobelpreisträgers Alvin Roth im Bereich der Lebensnierenspende. Als im vergangenen Jahr die Zahl der Geflüchteten, die nach Europa kamen, zunahm, beherrschten Probleme und mögliche Lösungsansätze im Bereich der Verteilung von Flüchtlingen auf die unterschiedlichen Mitgliedsländer sowie bei der Versorgung und Unterbringung den medialen Diskurs und viele Gespräche, die zwischen meinen Kommilitonen geführt wurden.
Den Ausgangspunkt für meine Bachelorarbeit bildete für mich dann die Erkenntnis, dass es sich bei der Gewinnung und Allokation von Sachspenden um ein klassisches Matching-Problem handelt. Spender haben Vorstellungen und Vorlieben in Bezug darauf, was sie – und vielleicht auch, an wen sie – spenden möchten. Die Spendenmittelempfänger, das heißt die Geflüchteten, haben wiederum Prioritäten hinsichtlich der Dinge, die sie benötigen und gern besäßen. Diese beiden Seiten zusammenzubringen, das reizte mich.
Kannst Du den Inhalt der Arbeit für den Leser kurz zusammenfassen?
von Nell: Die Forschungsdisziplin des Marktdesigns strebt danach, Matching-Märkte in einer Weise zu gestalten, dass stabile Zuordnungen zustande kommen. Die Auseinandersetzung mit einem konkreten Markt beginnt in der Regel dann, wenn festgestellt wird, dass die bestehende Organisation eines Marktes zu einer ineffizienten Allokation knapper Ressourcen führt. Entsprechend dazu standen in der Arbeit die Marktregeln, Prozesse und Akteure des Sachspendenmarkts im Bereich der Flüchtlingshilfe im Zentrum der Untersuchung – mit besonderem Augenmerk auf die Forschungsfrage, welche Probleme sich bei der Gewinnung und Allokation von Sachspenden in der Flüchtlingshilfe ergeben.
Im Zuge dessen habe ich Interviews mit verschiedenen Teilnehmern des Sachspendenmarktes geführt. Die Ergebnisse zeigen, dass für den geografischen Raum Friedrichshafen kein standardisiertes Matching-System existiert, über das die Allokation von Sachspenden verläuft. Die dezentralisierte Organisation des Sachspendenmarktes führt zum Teil zu einer ineffizienten Allokation der Ressourcen und beeinträchtigt die Funktionsfähigkeit des Marktes. Die Ergebnisse sind insbesondere in Hinblick auf weiterführende Forschungsarbeiten, die sich mit der Entwicklung eines Marktdesigns für den Sachspendenmarkt beschäftigen, von Relevanz.
Wie kann man denn nun aber den Sachspendenmarkt effizienter gestalten, insbesondere auf Seiten der spendenwilligen Bürger?
von Nell: Ich betrachte meine Forschungsergebnisse eher als Ausgangspunkt für weitere Untersuchungen, die sich mit verbesserten Marktmechanismen auseinandersetzen. Entsprechend wäre das eine spannende Frage für zukünftige Forschungsarbeiten! Allerdings lässt meine Analyse des gegenwärtigen Matching-Systems für den geografischen Raum Friedrichshafen den Schluss zu, dass Spendenvorgänge vermieden werden sollten, bei denen eine Zuwendung vom Spender direkt an den Geflüchteten übergeben wird und bei denen es zuvor keine Absprache gab. So existieren in den Gemeinschaftsunterkünften oftmals keine Strukturen, die die Annahme und Verteilung von Sachspenden organisieren. Dies kann zu einer Reihe von unerwünschten Effekten führen.
So ging beispielsweise aus den Interviews hervor, dass es in diesen Konfrontationssituationen für die Flüchtlinge problematisch sein kann, ihre wahren Präferenzen zu offenbaren. Die Ablehnung der Sachspende aufgrund fehlenden Bedarfs oder fehlender Neigung wird von den Spendern unter Umständen als Undankbarkeit bewertet. Eine mögliche Folge dieser instabilen Allokationen können Müll und Sperrmüll sein, die nicht zugeordnet werden können und für die Betreiber der Unterkünfte einen negativen externen Effekt darstellen, da sie in der Regel für die Beseitigung sorgen und aufkommen müssen.
Entsprechend dazu sollten sich Spender mit Naturalspenden eher an Spendenorganisationen wenden. Dazu zählen in Friedrichshafen unter anderem das DRK oder die Caritas.
Wie müsste denn eine zentrale Organisation aussehen, die eine wirkungsvolle Allokation von Spenden verantworten kann – und welche Rolle spielen Freiwillige darin?
von Nell: Das sind beides sehr wichtige Themengebiete, die ich hoffentlich in Folgeuntersuchungen betrachten kann. Die Ergebnisse, zu denen ich im Rahmen meiner Bachelorarbeit gekommen bin, könnten zunächst einmal die Basis für Überlegungen liefern, wie die spezifischen Institutionen des Sachspendenmarktes ausgestaltet werden müssen, damit sie zu einer ökonomischen Effizienz des Handelssystems führen. Definitiv sollte ein solcher Marktmechanismus-Prototyp sicherstellen, dass die Prioritäten von Spendern und Spendenmittelempfängern berücksichtigt werden, damit stabile Zuordnungen realisiert werden können.
Dabei wird eine Kernherausforderung sein, die künstlich geschaffenen Marktregeln auf ihre Robustheit zu prüfen, damit Probleme wie die strukturelle Überforderung von Organisationen bei der praktischen Implementierung vermieden werden können.
Bei der Flutkatastrophe 2013 in Ostdeutschland hat man sehr gute Erfahrungen mit der Verteilung von Spenden über Facebook oder Apps gemacht. Könnte hierin eine Lösung bestehen?
von Nell: Ja, Apps könnten definitiv ein Teil der Lösung sein. Alvin Roth, der die Neustrukturierung einiger Märkte vorangetrieben hat, formulierte drei Kriterien, die ein Marktdesign erfüllen muss, um zu einem Gelingen des Marktes beizutragen: Thickness, Congestion und Safety.
Marktteilnehmer müssen genügend Zeit haben, um alle möglichen Transaktionen in Betracht zu ziehen. Wenn das aus Zeitgründen nicht gelingt, weil der Prozess von Angeboten und Ablehnungen – der sogenannte Deferred-Acceptance-Algorithmus – zu lange dauert, spricht man von Congestion. Es ist entsprechend von grundlegender Bedeutung, dass Angebote und Ablehnungen reibungslos koordiniert werden. Die Einbindung neuer Technologien – also beispielsweise die Nutzung von Apps – kann dazu führen, dass ein Markt beschleunigt wird. Das beschreibt Alvin Roth anschaulich in seinem im vergangenen Jahr erschienenen Buch „Who gets What – and Why: The New Economics of Matchmaking and Market Design“ am Beispiel des Community-Marktplatzes Airbnb.
Bei der Gründung des Unternehmens im Jahr 2008 nutzten viele Personen Computer, um Transaktionen im Internet durchzuführen. Wenn ein Gast für ein bestimmtes Zimmer eine Anfrage tätigte, blieb diese in der Regel so lange unbeantwortet, bis der entsprechende Gastgeber das nächste Mal seinen Computer gebrauchte. Dies machte Airbnb im Gegensatz zu Hotels, bei denen man mit einem Anruf oder einer E-Mail die Verfügbarkeit gleich mehrerer Zimmer abfragen kann, zu einer zeitintensiven Alternative, um nach einer Unterkunft zu suchen. Die Einführung und weitflächige Verbreitung von Smartphones konnte die Anfrage-Ablehnung-Prozesse bedeutend beschleunigen. Entsprechend könnte die Einbindung von Apps auch bei der Allokation von Sachspenden spannend sein und beschleunigend wirken.
Das Thema Sachspenden hat eine Vielzahl von Gefühlen auf beiden Seiten mit sich gebracht, die in die wissenschaftliche Untersuchung des Marktmechanismus nicht einfließen durften. Wie konntest Du am besten mit dieser Herausforderung umgehen?
von Nell: Ich habe bei der Auswahl meiner Gesprächspartner darauf geachtet, unterschiedliche Teilnehmer des Sachspendenmarktes in Friedrichshafen zu befragen, die jeweils über andere Informationen, Standpunkte und Interessen verfügen. Dazu zählten Spender, Spendenorganisationen, Mitglieder der Stadtverwaltung und des Landratsamtes sowie ehrenamtliche Helfer, ein Mitglied der evangelischen Kirche und ein im Bereich der Flüchtlingsintegration tätiger Verein.
Es war nicht das Ziel meiner Untersuchung, generalisierende Aussagen über den gesamten Sachspendenmarkt zu machen. Vielmehr sollten durch den Bezug auf Friedrichshafen erste Einsichten in die Dynamiken und Probleme bei der Gewinnung und Allokation von Sachspenden gewonnen werden, welche möglicherweise in anderen Kontexten nochmals überprüft werden können.
Titelbild:
| Franz Ferdinand Photography / flickr.com (CC BY-NC 2.0)
Bilder im Text:
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Redaktionelle Umsetzung: Florian Gehm