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Nach ihrer Ausbildung zur Hotelfachfrau mit Zusatzqualifikation Hotelmanagement studierte Laura Jäger bis Anfang 2022 „Communication, Culture and Management“ im Bachelor an der ZU. Dabei legte sie ihren Schwerpunkt auf kommunikationswissenschaftliche Fragestellungen sowie psychologische und soziologische Themengebiete. In ihrem Humboldt-Projekt setzte sie sich interdisziplinär mit mikrobiellen Pandemien und ihren Folgen auseinander – aus biologischer, medizinischer, gesellschaftlicher und literarischer beziehungsweise filmischer Perspektive.
Wie erklärst Du Dir die menschliche Faszination für Viren und Bakterien, die ja nicht weniger als das Potenzial haben, uns alle umzubringen?
Laura Jäger: Ich denke, aus der Alltagsperspektive heraus fasziniert uns dieses Thema zum einen durch reale Pandemien und ihre Auswirkungen, aber auch durch all die Virusbücher und -filme, die uns vor Augen führen, wie schwer uns Pandemien im Extremfall treffen könnten, ausgelöst durch für uns unsichtbare Mikroorganismen. Näher betrachtet beeindrucken insbesondere die biologischen Eigenschaften der Mikroben. Das beginnt bereits bei der äußerst effektiven Vermehrung von Viren mittels Infiltration und Umprogrammierung der Wirtszelle.
Darüber hinaus weisen Viren und Bakterien erstaunliche Eigenschaften auf: hohe Widerstandsfähigkeit (etwa durch Sporenbildung bei Milzbrand), geschickte Übertragungswege (etwa Pesterreger über Flöhe) oder perfide Verbreitungswege häufig bereits vor Symptomeintritt des Infizierten. Durch Mutationen und damit laufende Veränderungen ihrer selbst, erschweren Mikroben uns zudem die Entwicklung von Impfstoffen, wie wir es ja auch gerade während der Corona-Pandemie erleben. Historisch gesehen darf man nicht vergessen, wie lange es dauerte, bis Viren und Bakterien als Krankheitserreger identifiziert werden konnten.
Und wie sieht es mit Deiner eigenen Faszination aus – wissenschaftlich natürlich. Was genau wolltest Du herausfinden?
Jäger: Begonnen hat meine Faszination für das Thema, als ich im vorvergangenen Sommer den Spielfilm „Outbreak – Lautlose Killer“ gesehen habe. Es hat mich überrascht, wie viele Parallelen sich in Bezug auf Verbreitungswege der Erreger, Diskussionen über Maßnahmen und deren Verhältnismäßigkeit zur Eindämmung sowie gesellschaftliche Reaktionen im Vergleich zu den Diskussionen über die „Corona-Lage“ herstellen ließen. Infolgedessen wollte ich diesen Parallelen genauer nachgehen und habe mich interdisziplinär aus biologischer, historischer und auf die Corona-Pandemie bezogener Perspektive mit ihnen auseinandergesetzt.
Zur Veranschaulichung meiner Erkenntnisse bezog ich weitere Filme, Serien und Bücher, die von Pandemien handeln, in meine Forschungsarbeit ein. Es hat mich beeindruckt, wie präzise die Beschreibungen dieser Phänomene darin teilweise erfolgen. Umso erstaunter war ich, wie überrascht und überfordert wir (als Gesellschaft und insbesondere von Seiten der Politiker) auf die pandemische Lage reagiert haben. Betrachtet man dazu die realen historischen Pandemien, stellt man ebenso fest, dass all die Fragestellungen und Probleme in Pandemiezeiten schon oft durchdacht und gelöst werden mussten.
Du hast Deinen Blick auf Pandemien unter das Begriffskonzept des „Krieges“ gestellt. Was genau meinst Du damit?
Jäger: Während ich mich mit Viren, Bakterien und Pandemien aus den verschiedenen Perspektiven heraus beschäftigt habe, ist mir aufgefallen, wie häufig hierbei Kriegsvokabular angewandt wird (Viren als Eindringlinge von außen) oder die pandemischen Zeiten Kriegszuständen ähnelten. In meiner Arbeit stelle ich dies unter das Metaphernkonzept von George Lakoff und Mark Johnson und leite die Strukturmetapher „Pandemiezustand ist Krieg“ im Verlauf meiner Arbeit her.
Bereits das Begriffskonzept der „Krankheit“ selbst beinhaltet ja eine Reihe von Formulierungen aus dem Konzept des Krieges (gegen eine Krankheit ankämpfen; von ihr besiegt werden). Historisch gesehen traten Kriege und Pandemien zudem häufig zusammen auf. Belagerte Städte oder die reisenden Heere waren äußerst anfällig für Epidemien (unter anderem durch Mangelernährung oder unhygienische Verhältnisse). Deshalb war das Auftreten von Epidemien nicht selten kriegsentscheidend. Es verwundert also nicht, dass mit dem Einsatz bioterroristischer Waffen versucht wird, diese Epidemien künstlich zu erzeugen. Ein weiterer kriegerischer Aspekt.
Wie haben sich Reaktionen auf Pandemien in den vergangenen Jahrhunderten verändert? Hätten wir anders mit dem Coronavirus umgehen müssen, wenn wir mehr aus der Geschichte gelernt hätten?
Jäger: Im Wesentlichen ähneln die Maßnahmen, die wir heute ergreifen, denjenigen, die schon früher angewandt wurden: Betroffene Städte wurden schon zu Zeiten der großen Pestepidemien abgeriegelt, der Handel mit diesen Städten ausgesetzt, Erkrankte oder Verdachtsfälle abgesondert, das soziale Leben eingeschränkt. Natürlich haben wir heute weitaus effektivere Möglichkeiten zur Pandemiebekämpfung, allein schon dadurch, dass wir unseren „unsichtbaren Feind“ als Virus identifizieren und seine Eigenschaften viel genauer analysieren können.
Aus meiner Sicht hätten wir von Anfang an konsequenter mit der pandemischen Lage umgehen müssen, beispielsweise durch frühzeitige und dauerhafte Kontakt- und Mobilitätsbeschränkungen. Hinsichtlich übervorsichtiger Maßnahmen findet sich im Film „Contagion“ eine äußerst treffende Äußerung eines Verantwortlichen der Centers for Disease Control and Prevention (CDC): „Es ist mir lieber, die Zeitungen berichten von einer Überreaktion, als dass viele Menschen ihr Leben verlieren, weil wir nicht genug getan haben.“
Welche persönlichen Bewältigungsstrategien haben Menschen entwickelt, um mit der Panik vor dem Tod durch eine Pandemie zu leben?
Jäger: Besonders in Camus‘ „Die Pest“ werden Bewältigungsstrategien beschrieben: Da Pandemien früher als Strafe Gottes gesehen wurden, war gottgefälliges Verhalten das Mittel der Wahl, um Gott wieder zu besänftigen und sich selbst zu „retten“. Jenseits von Religiosität reagieren die Menschen häufig mit Fluchtverhalten oder Abkapselung, um sich vor einer Ansteckung zu schützen. Gefühle wie Angst und Machtlosigkeit herrschen in Pandemiezeiten vor, wodurch ein erhöhtes Bedürfnis nach Kontrolle und konkreten Handlungsoptionen entsteht. Das bietet unter anderem Nährboden für „Infodemien“.
Eine weitere Folge ist die Entstehung von Verschwörungstheorien, bieten diese doch verhältnismäßig einfache Erklärungen für komplexe Probleme. Es ist schlichtweg leichter für den Einzelnen hinzunehmen, dass das Coronavirus eine chinesische Biowaffe ist, als dass Zoonosen in Folge klimatischer Veränderungen, Ausbreitungen des Menschen in die Lebensräume der Tiere, Massentierhaltung, Armut und unhygienische Lebensbedingungen etc. entstanden sind.
Warum neigt der Mensch dazu, für Pandemien Schuldige zu suchen – seien es bestimmte Bevölkerungsgruppen, Glaubensrichtungen oder sexuelle Präferenzen?
Jäger: Eine Gruppe verantwortlich zu machen, ermöglicht es dem Einzelnen, eine Grenze zwischen sich selbst und den (vermeintlich) Schuldigen zu ziehen. Dies kann auf unser unterschiedliches Zugehörigkeitsgefühl bezüglich In- und Outgroups zurückgeführt werden: Mit unserer Ingroup, etwa unserer Nationalität oder unserer Religion, können wir uns identifizieren im Gegensatz zu den Outgroups, gegen die wir möglicherweise sogar Vorurteile hegen. Mit dem Tod konfrontiert, steigt nach der Terror-Management-Theorie unter anderem unser Zugehörigkeitsgefühl zur Ingroup ebenso wie die Vorurteile gegenüber Outgroups.
Zudem kann gegen einen „unsichtbaren Feind“ nicht gekämpft werden, gegen (vermeintlich) Schuldige oder schuldhaftes Verhalten durchaus. Indem moralisches Fehlverhalten oder bestimmte Bevölkerungsgruppen für eine Pandemie verantwortlich gemacht werden, eröffnen sich Möglichkeiten, gegen die Schuldigen „vorzugehen“. Der Psychoanalytiker Eberhard Haas sieht die Suche nach Schuldigen als eine gesellschaftliche Abwehrreaktion.
Zurück zum Krieg: Wieso passen Kriege und Pandemien jetzt so gut zusammen? Welche Parallelen gibt es zwischen Kriegsmetaphorik und Corona?
Jäger: Neben Akteuren eines Krieges (Feind, Opfer, Held) erlebten wir regelrechte „Kriegserklärungen“ gegen das Coronavirus in Ansprachen von Politikerinnen und Politikern. Zur Eindämmung des Virus weichen demokratische Entscheidungsprozesse „militärisch-strategischen“ Überlegungen von Expertenteams. Maßnahmen werden verschärft oder gelockert, je nachdem, wie erfolgreich das Coronavirus zurückgedrängt werden kann. Darüber hinaus hilft das Militär selbst bei der Umsetzung der Eindämmungsmaßnahmen oder der Sicherung der Infrastruktur.
Indem der Pandemiezustand im übertragenen Sinne als Krieg verstanden werden kann, kann der Ernst der Lage durch Verantwortliche verdeutlicht werden. Kriegszeiten verlangen von der Bevölkerung ähnliche Entbehrungen und gesellschaftliche Geschlossenheit ab: Wir müssen gegen den „unsichtbaren Feind“ zusammenhalten und der Kampf erfordert Entbehrungen und Gehorsam hinsichtlich der Eindämmungsmaßnahmen eines jeden einzelnen Gesellschaftsmitgliedes.
Wer ist in der aktuellen Pandemie Held, wer ist Opfer, wer ist Feind? Und vor allem: Gewinnen wir diesen Krieg oder werden wir Corona nie wieder los?
Jäger: Als Feind stilisiert ist wohl maßgeblich das Coronavirus selbst. Opfer sind die an Corona Erkrankten und Verstorbenen, aber auch jene, die psychisch und wirtschaftlich unter den Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung zu leiden haben. Helden sind vor allem zu Beginn der Pandemie die gefeierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in medizinischen Bereichen, für die allabendlich applaudiert wurde, aber auch die „Alltagshelden“ in Supermärkten etc. In der Kampagne der Bundesregierung #besonderehelden wird jeder Einzelne durch Nichtstun (zu Hause bleiben und Ansteckung vermeiden) zum Helden erklärt.
Auch wenn Corona früher oder später wie die alljährliche Grippe unser Leben begleiten wird, finde ich eher die Tatsache beunruhigend, dass Corona nicht die letzte Pandemie sein wird. Unter anderem durch die Ausbreitung des Menschen in die Lebensräume der Tiere, Massentierhaltung oder Klimawandel steigt die Wahrscheinlichkeit für Zoonosen (Film Contagion!!!) und damit werden uns Pandemien voraussichtlich auch in Zukunft begleiten. Sehr gut formuliert von Nobelpreisträger Joshua Lederberg, dessen Formulierung den Film „Outbreak – Lautlose“ Killer eröffnet: „The single biggest threat to man’s continued dominance on the planet is the virus.”
Titelbild:
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Bilder im Text:
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Redaktionelle Umsetzung: Florian Gehm