Anlässlich der jüngsten Weltentwicklungs-Konferenz der UN in New York haben die Staats- und Regierungschefs kürzlich neue, sehr ambitionierte Nachhaltigkeits-Entwicklungsziele beschlossen. Gemeinsam mit der Klimakonferenz, die derzeit in Paris stattfindet, sind die Hausaufgaben für die Politiker der Welt klar: nichts weniger als die Welt retten!
Die Millenniums-Entwicklungsziele, international auch als Millennium Development Goals (MDG) bezeichnet, waren 2000 von UN, Weltbank, IWF und OECD beschlossen worden. Kernziel war die Halbierung der globalen Armut bis 2015, aber daneben gab es noch weitere Ziele im Bildungsbereich, in der Geschlechtergleichheit, Kindersterblichkeit, Müttergesundheit, Gesundheitsversorgung, in der Umwelt- und Entwicklungskooperation.
Die Studien der UN zu den MDGs waren ernüchternd, aber nicht durchweg negativ. Das Hauptziel, die Halbierung der globalen Armut, wurde erreicht: statt 1,926 Milliarden Menschen waren 2015 nur noch 836 Millionen arm. Auch bei vielen anderen Zielen wurden beträchtliche Fortschritte erzielt, vieles wurde aber nicht geschafft. Zudem muss festgestellt werden, dass die meisten Fortschritte auf das Konto weniger Länder gehen: Insbesondere China, aber auch etliche Länder in Nordafrika und in Lateinamerika haben einen deutlichen Entwicklungsfortschritt zu verzeichnen, während Südasien und insbesondere Subsahara-Afrika die meisten MDGs deutlich verfehlt haben.
Die Staatschefs reden in New York anlässlich der 70. UN-Vollversammlung. Ohne allzu viel Publikum. Über die neuen nachhaltigen Entwicklungsziele – verabschiedet, ohne, dass die Milleniums-Entwicklungsziele jemals erreicht worden wären. Ziele, die selbst Deutschland wieder zum Entwicklungsland machen. Kann das gut gehen?
Trotz dieser durchwachsenen Bilanz kommentierte der UN-Generalsekretär Ban Ki-moon: „2015 ist ein wichtiges Jahr auf unserem Weg. Wir werden die Initiative der Millenniums-Entwicklungsziele abschließen. Wir sind dabei, eine kühne Vision für die Herbeiführung einer nachhaltigen Entwicklung mit einem entsprechenden Zielkatalog auszugestalten. Und wir wollen ein neues, universales Klima-Abkommen schließen.“
Nun also die neuen, noch weitaus ambitionierteren Nachhaltigkeits-Entwicklungsziele, auch Sustainable Development Goals (SDG) genannt, die bis 2030 erreicht werden sollen. Was sind die zentralen Inhalte der verabschiedeten 17 Oberziele und ihrer 169 Unterziele?
- Armut in jeder Form und überall beenden.
- Den Hunger beenden, Ernährungssicherheit und eine bessere Ernährung erreichen und eine nachhaltige Landwirtschaft fördern.
- Ein gesundes Leben für alle Menschen jeden Alters gewährleisten und ihr Wohlergehen fördern.
- Inklusive, gerechte und hochwertige Bildung gewährleisten und Möglichkeiten des lebenslangen Lernens für alle fördern.
- Geschlechtergerechtigkeit und Selbstbestimmung für alle Frauen und Mädchen erreichen.
- Verfügbarkeit und nachhaltige Bewirtschaftung von Wasser und Sanitärversorgung für alle gewährleisten.
- Zugang zu bezahlbarer, verlässlicher, nachhaltiger und zeitgemäßer Energie für alle sichern.
- Dauerhaftes, inklusives und nachhaltiges Wirtschaftswachstum, produktive Vollbeschäftigung und menschenwürdige Arbeit für alle fördern.
- Eine belastbare Infrastruktur aufbauen, inklusive und nachhaltige Industrialisierung fördern und Innovationen unterstützen.
- Ungleichheit innerhalb von und zwischen Staaten verringern.
- Städte und Siedlungen inklusiv, sicher, widerstandsfähig und nachhaltig machen.
- Für nachhaltige Konsum- und Produktionsmuster sorgen.
- Umgehend Maßnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels und seiner Auswirkungen ergreifen – in Anerkennung der Tatsache, dass die United Nations Framework Convention on Climate Change (UNFCCC) das zentrale internationale, zwischenstaatliche Forum zur Verhandlung der globalen Reaktion auf den Klimawandel ist.
- Ozeane, Meere und Meeresressourcen im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung erhalten und nachhaltig nutzen.
- Landökosysteme schützen, wiederherstellen und ihre nachhaltige Nutzung fördern, Wälder nachhaltig bewirtschaften, Wüstenbildung bekämpfen, Bodenverschlechterung stoppen und umkehren und den Biodiversitätsverlust stoppen.
- Friedliche und inklusive Gesellschaften im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung fördern, allen Menschen Zugang zur Justiz ermöglichen und effektive, rechenschaftspflichtige und inklusive Institutionen auf allen Ebenen aufbauen.
- Umsetzungsmittel stärken und die globale Partnerschaft für nachhaltige Entwicklung wiederbeleben.
Übersicht über die nachhaltigen Entwicklungsziele. Ambitioniert? Größenwahnsinnig? Notwendig oder unnötig? Wo werden sie uns hinführen? An welchem Punkt werden wir stehen, wenn wir sie evaluieren? Kann aus dem momentan herrschenden Chaos eine „echte“ internationale Zusammenarbeit werden? Denn anders wird es wohl kaum möglich sein, diese Ziele auch nur annähernd zu erreichen.
Die Liste ist lang, viele Kritiker sehen hier das Gießkannenprinzip statt einer Konzentration auf wesentliche Entwicklungsprobleme. So kritisiert Bjørn Lomborg , dänischer Politikwissenschaftler, Statistiker und Leiter des Copenhagen Consensus Center, das eine wichtige Rolle im entwicklungspolitischen Diskurs spielt: „Wer eine dreistellige Anzahl ,nachhaltiger Entwicklungsziele‘ formuliert, lebt offensichtlich in einer anderen Realität.“ Seine Argumente sind bestechend einfach: In einer Welt, in der immer noch fast eine Milliarde Menschen hungert, muss man da als Unterziel den freien Zugang zu Grünflächen fordern?
Die SDGs sind, soweit ist den Kritikern Recht zu geben, weniger als konkrete, realistische Ziele denn als Maximalforderungen oder globale Leitlinien zu verstehen. Konkrete Zielvorgaben werden zum Teil in den 169 Unterzielen definiert, etwa die Vorgabe, die Müttersterblichkeit auf unter 70 pro 100 000 Mütter zu reduzieren. Insgesamt handelt es sich aber – wie auch die UN offen und offensiv sagt – um eine ambitionierte, aber notwendige Vision für die Zukunft unseres Planeten. Dazu gehört auch die explizite Konzentration auf die Schwächsten: „Das wichtigste Element dieser ,Neudefinition‘ der nachhaltigen Entwicklung“, so schreiben Thomas Gass und Silke Weinlich vom Deutschen Institut für Entwicklungspolitik (DIE), „ist das Versprechen, niemanden zurückzulassen. Die Ziele sollen also nicht nur im Großen und Ganzen erreicht werden, sondern gerade auch für verwundbare und marginalisierte Bevölkerungsgruppen.“
Der Klimagipfel in Paris. Der 21. Versuch, etwas zu verändern. Seine Vorgänger? Gescheitert. Und auch dieses Mal wird es keinen Vertrag geben. Zu groß sind die Unstimmigkeiten. Eine Vereinbarung ist das Ziel. Damit diese vielleicht doch Auswirkungen hat, ist vor allem die Zivilgesellschaft aufgefordert, Druck auszuüben. Höchste Zeit, wenn man die aktuellen Bilder aus Chinas Metropolen betrachtet. Und vielleicht sollte auch der eine oder andere Staatschef überlegen, ob er sein eigenes gepanzertes Fahrzeug wirklich einfliegen lassen muss.
Eine weitere Neuerung ist, dass die Ziele nicht nur für „arme“, „unterentwickelte“ Länder gelten wie die MDGs, sondern Leitlinien für alle Länder sind. So muss etwa auch Deutschland in Zukunft regelmäßig Bericht erstatten über die Fortschritte, die das Land gemacht hat.
Ob hier nun der Bezug zur Realität verloren ging und die Menschen, die diese Vision entwickelt haben, eher in ein Krankenhaus als in die Politik gehören, darf hinterfragt werden. Die Ziele sind sehr ambitioniert, sehr komplex und sehr vielfältig. Aber, so die Grundposition der Verteidiger, auf ein komplexes Problem wie nachhaltige Entwicklung kann es keine einfachen Antworten geben. Und schließlich kann man lapidar auf ein Bonmot verweisen, das Laotse zugeschrieben wird: „Eine 1 000 Meilen lange Reise beginnt mit dem ersten Schritt.“
Titelbild: Presidencia de la República Mexicana / flickr.com (CC BY 2.0)
Bilder im Text: Number 10 / flickr.com (CC BY-NC-ND 2.0)
United Nations
Mark Dixon / flickr.com (CC BY 2.0)
Beitrag (redaktionell unverändert): Prof. Dr. Wolfgang Muno
Redaktionelle Umsetzung: Alina Zimmermann