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Robin Rohrmann führt der berufsbegleitende Master in Digital Pioneering | eMA DIP im September 2015 an den Bodensee. Nach einem Bachelor an der University of Applied Science in Köln konzentriert er sich in Friedrichshafen vorrangig auf Business Model Innovation, die digitale Transformation von Unternehmen, digitale Güter und Dienstleistungen. Nachdem ihn bisherige Tätigkeiten als Werkstudent bei KPMG nach Köln und Praktika bei BridgehouseLaw nach Atlanta sowie bei McKinsey nach Düsseldorf führten, startete Rohrmann im Februar 2015 in eine Anstellung bei Rocket Internet SE in Berlin. Als City Manager ist er dort unter anderem für Operations und Marketing am Berliner Standort verantwortlich.
Diskussionen über den Netzausbau und Industrie 4.0 erfreuen sich in Deutschland mittlerweile an zunehmender Beliebtheit bei Stammtischgesprächen. Die großen Beratungen richten ihre Aktivitäten auf die digitale Transformation von Geschäftsmodellen aus, um an den großen Zahlungsströmen zu partizipieren (zum Beispiel McKinsey Digital Labs oder BCG Digital Ventures). Der folgende Artikel wirft einen Blick über den Teich und vergleicht, inwiefern uns Kopflastigkeit und Politismus im Rennen um Innovationsfähigkeit mit den Schöpfern und Pionieren der Digitalisierung im Silicon Valley zurückhalten.
Während der Creative Director von Tinder über die erfolgreichen Marketingkampagnen seiner jungen Karriere bei einem Meet-up referiert, versuche ich die Erfolge seiner Kampagnen unter den mir bekannten Key Performance Indicators einzuordnen, welche bei Deutschlands größtem Start-up-Inkubator Rocket Internet zur Bewertung von Kampagnen herangezogen werden. Schnell wird deutlich, dass Innovation mit den uns verwandten Maßstäben nicht zu erfassen ist. Die Gründerszene in Deutschland ist von Messbarkeit und Kennzahlen getrieben. Der Investoren-Pitch ist in Deutschland von Zahlen und Finanzplänen belastet, möchte der Geldgeber in erster Linie ein Investment vornehmen, das ein gesundes Verhältnis von Risiko und Realismus reflektiert. Diese Korrelation scheint im Valley nicht zentral. Auf der Suche nach dem nächsten großen Wurf unterstützen Investoren insbesondere Ideen, die sich in neuartigen Gebieten bewegen und hochgradig risikobehaftet sind. Gerade diese Ideen münden häufig in disruptiven und innovativen Geschäftsmodellen. So startet die Reise in eine digitale Welt, die keinerlei Grenzen aufzuweisen scheint.
Während die Politik in Deutschland noch versucht, steuernd einzugreifen (siehe Digitale Agenda), belebt die amerikanische Regierung Geschäftsmodelle, indem sie diese mit finanziellen Mitteln stärkt. So erhalten Start-ups, die der öffentlichen Hand Aufgaben abnehmen, den hierdurch erwirtschafteten monetären Vorteil von der Regierung (Stichwort: Social Entrepreneurship).
Systematisch gewinnt das Valley durch die hohe Dichte an Business Angels, Venture Capitalists und Investoren an Vorsprung. Neben den finanziellen Mitteln, die zugänglich sind, können Ventures bereits in der Early Stage-Phase viel Know-how generieren. Der größte Vorteil resultiert jedoch aus der sagenumwobenen „Kultur des Scheiterns“. Wie von Peter Thiel in der Bibel für Gründer (Zero to One) festgehalten, gleicht ein erfolgreiches Venture den Misserfolg von allen anderen Start-ups im Portfolio eines Investors aus. Entsprechend verändert dies die Bereitschaft, hohe Summen zu investieren, um von exponentiellen Effekten profitieren zu können. Während Investoren in Deutschland gerne versuchen, ihr Risiko mit kleinen Investments bei vielen Ventures zu reduzieren, sitzt das Geld bei amerikanischen Investoren wesentlich „lockerer“.
Eine Kehrseite des Gold Rushes im Valley ist die Vielzahl an Opportunisten, die mit wenig Know-how den Markt fluten und weniger Disruption herantragen als die Absolventen der Kreativschmieden Stanford oder Berkeley. Dies bestätigte sich auf Pitch-Veranstaltungen, bei denen Gründern weder zum Ausdruck brachten, welche Investitionen sie benötigen, noch ihr Geschäftsmodell aus allen Perspektiven erläutern konnten.
Auch wenn digitale Geschäftsmodelle schwer zu clustern sind, fällt auf, dass San Francisco überwiegend mittelständische Unternehmen ihr zu Hause nennen, die das Stadium eines Start-ups per Definition bereits überschritten haben. Dies ist mitunter auf die fortgeschrittene Infrastruktur in der Metropole an der amerikanischen Westküste zurückzuführen. Vergleicht man die durchschnittlichen Mieten in San Francisco mit Berlin, dann wird deutlich, welche Rahmenbedingungen für Start-ups herrschen müssen. Während der durchschnittliche Frisco-Bewohner heutzutage 3.500 Euro für sein Apartment berappelt, zahlt der Berliner mit rund 500 Euro pro Monat nur einen Bruchteil dessen. Folglich überrascht es nicht, dass die Zahl der Neugründungen in Berlin überwiegt. So sind die in Mark Zuckerberg und Evan Spiegel verkörperten Prototypen von Gründern schon lange nicht mehr in der einstigen Hauptstadt der Start-ups anzutreffen. Gegründet wird an den Universitäten, im Süden des Valleys oder in Städten, die noch nicht von Start-ups überlaufen sind wie zum Beispiel die texanische Hauptstadt Austin.
Viele Patienten der Gründerszene bereisen San Francisco ausschließlich mit dem Ziel, sich die benötigte Finanzspritze abzuholen. Neben den Gladiatoren, die in den Arenen der Neuzeit bei Investoren-Pitches ihr Glück suchen, bleiben am anderen Ende der Stadt zahlreiche Bewohner wortwörtlich auf der Straße. Die Kehrseite einer auf die Wirtschaft ausgerichteten Politik ist das fehlende Sozialsystem in den Vereinigten Staaten, welches die weniger glücklichen Bürger auffangen könnte. Während so mancher Millionensummen für sein Unternehmen erhält, wird deutlich, dass nicht alle von dem „American Dream“ kosten dürfen. So gehören die von Udo Jürgens besungenen zerissenen Jeans in San Francisco heute – leider – strukturbedingt zum Straßenbild.
Evolutionell ist die Spezies der Gründer in Amerika dem europäischen Homo Gruenderus davongeeilt. In Berlin stehen auf dem Speiseplan der Investoren vornehmlich Geschäftsmodelle im Bereich Consumer Goods, E-Health oder Ableger von amerikanischen Unternehmen. In San Francisco sind uns Pioniere begegnet, die ihren Finger am Puls der Zeit halten. Artificial Intelligence, Autonomous Driving, Shared Economy, Drones und Augmented Reality – it’s happening in San Francisco. Durch die technische Versiertheit der Gründer entstehen neue Räume für Dienstleitungen und Services, die sich für uns noch nicht erahnen lassen. Neue Märkte entstehen durch neue Produkte. Neue Techniken werden durch gelockerte Gesetzte unterstützt. Eine weitere Unternehmensbesichtigung gab uns Einblicke in das Geschäft der Drohnenzustellung, welche Transporte von der Ost- zur Westküste realisiert. Neben einem deutlichen Vorteil auf der Kostenseite kommt auch ein enormer zeitlicher Nutzen zum Tragen. Während die Deutsche Post oder Amazon sich bereits für kleinste Testflüge zur Erlangung der Flugerlaubnis durch den behördlichen Dschungel an Vorschriften wagen müssen, wird dies in Amerika von behördlicher Seite unterstützt und mitorganisiert.
Durch die starke Regulierung in Europa werden gesamte Geschäftsfelder zurückgehalten. Der tägliche Transport in San Francisco läuft über Uber, Lyft oder Cabify, mithin selten über die öffentlichen Verkehrsmittel. Während das Geschäftsmodell der Personenbeförderung in Privatfahrzeugen in Deutschland aufgrund einer fehlenden Beförderungslizenz sein vorläufiges Ende im Absordium der deutschen Legislative findet, ist die Shared Economy in Amerika bereits fester Teil der Gesellschaft. Diese Geschäftsfelder entwickeln sich stetig weiter. Uber zum Beispiel übernimmt – seit dem erfolgreichen Testlauf in Sydney – mit den Fahrzeugen auf der Straße nun auch Essenslieferungen (bekannt unter der Bezeichnung „UberEATS“). Ebenso sind erste autonome Fahrzeuge von Uber auf den Straßen in der Bay Area und in Pittsburgh im Test. Unternehmern in San Francisco kommt insofern ein Vorsprung durch Technik – getragen durch eine unterstützende Administration mit wenig Regulierung – zugute.
Zwar scheinen die Grenzen durch die zunehmende Vernetzung und Globalisierung zu verwässern, jedoch bleibt festzuhalten, dass digitale Geschäftsmodelle im Valley einen nahrhafteren Boden auffinden als hierzulande – daraus resultiert ein erheblicher Vorteil. Bedingt durch Legislative, Erfahrungswerte und technischen Fortschritt gelingt es Gründern, innovativere und disruptiverer Geschäftsmodelle zu entwickeln. Imposante Bürogebäude mit Dachterrasse, Gym, Restaurants, Bars und Cafés, die während der Arbeitszeit genutzt werden (beispielsweise LinkedIn-Office in San Francisco) zeugen von einer gefestigten Kultur, die bei Unternehmen mit vergleichbaren Umsatzgrößen und Mitarbeiterzahlen in Deutschland nicht aufzufinden ist. Zahlreiche Praktiken, die wir in Deutschland lediglich auf dem Papier als Trend festmachen, sind in Amerika bereits Teil des Alltages geworden.
Neben den hervorragenden Rahmenbedingungen im Valley unterscheidet sich der dortige Gründertyp auch in seiner Kultur. Während dieser auf die Realisierung seiner Ideen fixiert ist, ist man in Deutschland überwiegend messungsorientiert eingestellt. Forschung und Wissenschaft werden in Deutschland historisch großgeschrieben. Das unternehmerische Denken ist jedoch in der DNA der Amerikaner tiefer verankert und institutionell gefördert. Ein Vorteil für Berlin liegt im Vergleich zwischen den Kostenstrukturen. Günstige Wohnungen, preiswerte Anbindungen und niedrige Unterhaltskosten locken Talente aus dem In- und Ausland und erinnern an das Valley vor zehn Jahren.
Spannend bleibt zu sehen, ob die deutsche Regierung Start-ups in Zukunft zur Erledigung ihrer Arbeiten einbeziehen wird. Beispielsweise könnte die Kostenexplosion und das Zeitmanagement bei Großprojekten durch Start-ups unter Kontrolle gebracht werden, um prominenten Negativbeispiele wie die Elbphilharmonie, den Berliner Flughafen oder den Nürburgring künftig vorzubeugen.
Titelbild:
| tokyofortwo / flickr.com (CC BY-NC-SA 2.0)
Bilder im Text:
| Chris Messina / flickr.com (CC BY-NC-SA 2.0)
| Zeppelin Universität / eMA DIP
| Zeppelin Universität / eMA DIP
| Patrick Nouhailler / flickr.com (CC BY-SA 2.0)
Beitrag (redaktionell unverändert): Robin Rohrmann
Redaktionelle Umsetzung: Florian Gehm