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Der gebürtige Würzburger Professor Dr. Hans Ulrich Gumbrecht ist ständiger Gastprofessor für Literaturwissenschaften an die Zeppelin Universität. Er studierte Romanistik, Germanistik, Philosophie und Soziologie in München, Regensburg, Salamanca, Pavia und Konstanz. Seit 1989 bekleidete er verschiedene Professuren für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaften der Stanford University. Einem breiteren Publikum ist er bereits seit Ende der 1980er-Jahre durch zahlreiche Beiträge im Feuilleton vor allem der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und der Neuen Zürcher Zeitung sowie durch seine Essays bekannt. Darin befasst er sich immer wieder auch mit der Rolle des Sports. Gumbrecht ist bekennender Fußballfan und Anhänger von Borussia Dortmund.
Beim Amtsantritt von Donald Trump vor gut einem Jahr standen sich in den öffentlichen Stellungnahmen seiner Kritiker zwei deutlich divergente Prognosetendenzen gegenüber - weniger klar war allerdings, welche von ihnen als "optimistisch" und welche als "pessimistisch" gelten sollte oder konnte. Nicht wenige Kommentare vermuteten, der neue Präsident werde einen gegenüber seinem doppelten amerikanischen Wahlkampf etwas konventionelleren politischen Stil und eine sowohl kohärentere als auch konsequenter verfolgte Vision bestimmter Ziele entwickeln; auf der anderen Seite stand die Überzeugung, dass man den wahren Trump bereits in den vorausgehenden Monaten mehr als hinreichend kennengelernt habe.
Bestätigt hat sich - täglich und viel massiver wohl als selbst Trumps Anhänger hätten hoffen und sich vorstellen können - die zweite Vermutung. Denn auch im Weißen Haus reagiert Donald Trump stets kurzfristig auf Impulse des jeweils letzten Moments, anscheinend unter dem beständigen Drang, positive Resonanzen zu verstärken, und ohne Sorge um Widersprüche oder zentrifugale Effekte seiner Entscheidungen. Nur wenige seiner Wahlversprechen wurden erfüllt, ohne dass seine Fans dem Präsidenten dies übelgenommen hätten. Das im Wahlkampf so emblematische Projekt einer gegen mexikanische Einwanderer gesetzten Maurer ist in den Hintergrund gerückt, ohne vollkommen aus den Twitter-Botschaften des Präsidenten verschwunden zu sein. Sein persönliches Verhältnis zu Wladimir Putin und mithin die außenpolitischen Beziehungen zu Russland sind nicht vom Fleck gekommen. Die Besetzung politischer und administrativer Rollen in der neuen Regierung schien sich ohne einen Gesamtplan zu vollziehen, führte deshalb zu Monaten erstaunlicher Instabilität, die ihren Höhepunkt in der Trennung von dem für Trumps Wahlkampf so wichtigen Stephen Bannon erreichte - und hat sich inzwischen vielleicht konsolidiert. Vielfache Vorwürfe und Anklagen, die zu einem Impeachment führen könnten, sind bis heute nicht neutralisiert. Und neben alledem hat der gegenwärtige Präsident mit seinen ausführlichen Golfwochenenden bestätigt, was man schon seit George W. Bush ahnte: Chef der amerikanischen Regierung zu sein, verlangt nicht unbedingt einen dicht gefüllten Zeitplan.
Das nationale und internationale Bild dieser Präsidentschaft wirkte bisher, um es verhalten zu formulieren, außerordentlich farbig - und die globalen Medien malen diesen Eindruck täglich (und fast immer kritisch) weiter aus. Vor einem solchen, schon längst zur Normalität gewordenen Hintergrund aber beginnt sich die eine wahre und substantielle Überraschung abzuzeichnen, die Trumps so zahlreiche Gegner bisher entweder nicht registriert haben oder nicht nachvollziehen wollen (und daher mit einem Tabu der Wahrnehmung und Kommunikation versiegeln): Anfang 2018 stehen die Vereinigten Staaten - im Hinblick auf die meisten politischen Zentraldimensionen - gar nicht schlecht da, wobei einige der "Erfolge", soweit wir wissen, kaum den Absichten (oder eher: den Präferenzen) des Präsidenten entsprechen.
Ohne dass wirtschaftspolitische Maßnahmen der neuen Regierung noch Wirkung zeigen konnten, hat sich die Ökonomie im Land positiv genug entwickelt, um europäische Beobachter von einem "amerikanischen Wirtschaftswunder" sprechen zu lassen, was wohl eher auf ihre Überraschung verweist als auf einen objektiven Grad von Prosperität. Nach Monaten weltweit angstvoller Anspannung scheint nun eine Dynamik in das Verhältnis zwischen den beiden koreanischen Staaten gekommen zu sein, welche bis vor kurzem noch unvorstellbare Hoffnungen weckt. Die besten Universitäten des Landes könnten zwar mittelfristig aufgrund der erschwerten Einreisebedingungen und wegen des von Trump verursachten internationalen Imageschadens immer noch ihren Status als Zentrum der globalen akademischen Eliten verlieren (und auch unter seiner sich abzeichnenden Steuerpolitik leiden), aber vorerst ist ihnen die Aktualität einer solchen Krise erspart geblieben. Und nicht nur das Rechtssystem hat sich im Sinn der klassischen "Gewaltenteilung" mit Sanktionen gegen Übergriffe des Präsidenten bewährt, auch in öffentlichen Protestbewegungen und im Innern der demokratischen Partei kommen mittlerweile Konturen von Widerstand und alternativen Positionen zum Vorschein, wie man sie lange Jahre vermisst hatte.
Natürlich sieht der Horizont der gegenwärtigen amerikanischen Innen- und Außenpolitik nicht ausnahmslos positiv aus - man muss nur an die jüngste (und inzwischen schon beinahe vergessene) Blockade des Staatshaushaltes denken, mit der die Demokraten auf analoge Manöver der Republikaner während der Obama-Jahre reagierten. Doch mit Sicherheit hat sich die vor einem Jahr noch durchaus rational aussehende Erwartung nicht erfüllt, nach der nachhaltiges Chaos im Zentrum der politischen Institution jedenfalls zu einer Implosion wesentlicher gesellschaftlicher Funktionen führen muss. Wie lässt sich diese - für viele von uns ebenso einschneidende wie trotz allem unangenehme - Überraschung erklären? Warum hat Trump bisher leider funktioniert?
Die Überraschung könnte erstens zu tun haben mit einer inzwischen fundamental gewordenen Überschätzung der funktionalen Bedeutung von nationalen politischen Systemen, die ja auf Zeiten größerer nationaler Unabhängigkeit und Isolation zurückgehen. Viele der (meist nur halbherzig verfolgten) Maßnahmen Trumps haben zwar gerade einen Rückweg zu solch nationaler Unabhängigkeit einzuleiten versucht, sind aber nicht nur an den Reaktionen des amerikanischen Rechtssystems, sondern auch an der globalen Verzahnung wirtschaftlicher und außenpolitischer Bewegungen gescheitert. Paradoxerweise ähneln unter dieser Perspektive Trumps Illusionen hinsichtlich des ihm gegebenen Handlungsspielraums den Befürchtungen seiner Gegner bezüglich der Machtfülle des Präsidenten. Ambivalenter - und mithin riskanter - ist zweitens die These, nach der das Chaos im Inneren der amerikanischen Politik einige seit langem verfahrene Situationen (ohne eine solche Absicht, doch mit positiven Auswirkungen) destabilisiert hat. Nirgends wurde dies sichtbarer als in jener live von Fox News aus dem Weißen Haus übertragenen Diskussion des Präsidenten mit republikanischen und demokratischen Angeordneten, bei der ausgerechnet er die Möglichkeit einer Legalisierung illegal eingewanderter Mexikaner zur Sprache brachte.
Vielleicht haben auch gerade die ganz und gar inkonsistenten Reaktionen der Trump-Regierung auf die nordkoreanische Nuklearbedrohung erst die neuen direkten Verhandlungen zwischen beiden koreanischen Staaten motiviert. Auf einer abstrakteren Ebene der Reflexion könnte man am Ende und drittens fragen, ob denn Trumps hölzerner Anspruch, einen angeblich durch und durch korrupten Status der Politik in Washington durch den in seiner Sicht effizienteren und gerechteren Stil der Geschäftswelt zu ersetzen, als erfolgreicher Übergang in eine post-politische Welt zu deuten ist. An die Stelle der langfristigen Entwicklung von immer neuen internationalen Koalitionen und Strategien, die so oft an ihrer eigenen Komplexität und an der aus ihr folgenden Fragilität gescheitert sind, wäre dann tatsächlich eine Vielfalt lokaler Instabilitätszentren getreten, welche, statt die Welt in den Abgrund zu treiben, durch ihre Interaktion die globale politische Szene in überschaubare lokale Gesprächs- und Lösungsansätze verwandeln. Hier könnte der Beginn einer neuen - und paradoxalen - weltpolitischen Szene liegen, auf der Trump selbst ab und an Erfolge verzeichnen kann, ohne sie als Form wahrzunehmen oder gar zu verstehen.
Solche Überlegungen mögen aussehen wie eine Trump-Verteidigung ohne Mut zur Offenheit. Kaum etwas liegt mir ferner. Natürlich empfinde ich - als Intellektueller in der Tradition von 1968 - seit Trumps Wahl mehr als nur einen Hauch von Peinlichkeit, wann immer ich mit meinem amerikanischen Pass Grenzen überschreite - und vor allem habe ich zu lange auf Vernunft als Grundlage guter Politik gesetzt, um nun Trumps Politik anders denn als profunde Irritation zu erleben oder mich gar von ihren gelegentlichen Erfolgsmomenten umstimmen zu lassen. Kann ich wenigstens auf ein Impeachment und eine Amtsenthebung hoffen? Nicht ohne weiteres, da Vizepräsident Mike Pence als sein potentieller Nachfolger für eine deutlicher definierte ideologische Position steht, die von meinen Vorstellungen einer lebenswerten Gesellschaft noch weiter entfernt ist als das Trump-Chaos. Es ist Zeit, die Hoffnung auf ein schnelles Ende der 2016 gewählten amerikanischen Regierung zu vergessen.
Eher lässt das Ausbleiben des ursprünglich fast mit Gewissheit erwarteten Scheiterns mittlerweile sogar eine Wiederwahl von Donald Trump als möglich (wenn nicht wahrscheinlich) erscheinen - und führt zur Normalisierung jenes politischen Stils, der sich im dynamischen Feld zwischen subjektiven Impulsen und der Sehnsucht nach permanenter kollektiver Resonanzverstärkung vollzieht. Mit jedem neuen Trump-Tag geht aber auch - und dies gehört nun tatsächlich zu seinem Programm - mehr von jener Aura und Würde des Präsidentenamtes verloren, welche die politische Praxis einer großen Tradition gerahmt hatte und für die sein Vorgänger Barack Obama zum ersten Mal seit John F. Kennedy wieder neue Formen fand. Vor allem wird angesichts der außergewöhnlichen militärischen Machtposition des amerikanischen Präsidenten kein Tag unter Trump vergehen, an dessen Ende wir nicht erleichtert sein müssen, wenn uns eine nukleare - und in ihren Auswirkungen gewiss irreversible - Intervention erspart geblieben ist.
Diese sich immer wieder einstellende und ja durchaus berechtigte Furcht vor gravierenden Krisen sollte allerdings gerade uns Intellektuelle nicht von der Pflicht entbinden, die eigenen Überzeugungen und Erwartungen zu revidieren, mit denen wir auf Trumps Wahl reagiert hatten. Denn statt jene Erwartungen zu bestätigen, könnte es sein, dass Trump, ohne dies zu beabsichtigen oder auch nur zu sehen, als verkörperte Emergenz einer - vielleicht verheerenden, vielleicht befreienden - Alternative zur klassischen Politik agiert. Seine sicher keinen bevorstehenden Abschied ankündigende Präsenz im Weißen Haus gibt uns jedenfalls vielfältige Anlässe zu neuem Denken auf.
Titelbild:
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Bilder im Text:
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Beitrag (redaktionell unverändert): Prof. Dr. Hans Ulrich Gumbrecht
Redaktionelle Umsetzung: Florian Gehm