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Prof. Dr. Wolfgang H. Schulz studierte Wirtschaftswissenschaften an der Ruhr-Universität Bochum. Nach seiner Habilitation zum Thema „Industrieökonomik und Transportsektor – Marktdynamik und Marktanpassungen im Güterverkehr" an der Universität zu Köln und seiner Tätigkeit als Studiendekan für Logistik und Handel an der Hochschule Fresenius, ist er seit März 2014 Inhaber des Lehrstuhls für Mobilität, Handel und Logistik sowie Direktor des Center for Mobility Studies | CfM an der Zeppelin Universität.
Im Zentrum der Forschung und der Arbeit des Lehrstuhls für Mobilität, Handel und Logistik stehen neue Mobilitätskonzepte und -lösungen. Hierbei werden unter der Anwendung neuer theoretischer Ansätze lohnende Konzepte für die betriebswirtschaftliche Praxis abgeleitet, welche darüber hinaus vor allem einen gesamtgesellschaftlichen Nutzen stiften.
Schulz ist unter anderem Mitglied im Beirat „Bündnis für Mobilität“ des NRW-Verkehrsministers und langjähriger wissenschaftlicher Experte im Verkehrsausschuss des Bundesverbandes Großhandel, Außenhandel, Dienstleistungen e.V. (BGA).
In Zeiten von Vollbeschäftigung, Umsatzrekorden und neuen Höchstständen an den Börsen haben viele Großunternehmen ein gewisses „Luxusproblem“: Die Bargeldbestände, die mit zunehmender Laufzeit ansteigen, sowie die allgegenwärtige Frage auf Seiten des Top-Managements, wie die Bargeldbestände im Sinne der Shareholder-Value-Maximierung profitabel eingesetzt werden sollen. In Zeiten, in denen sämtliche Anlagemöglichkeiten in den unterschiedlichsten Asset-Klassen eine solch geringe Rendite erwirtschaften, sind viele Spitzenmanager ratlos, wie sie ihre Bargeldbestände produktiv einsetzen können.
Es gibt bestimmte Programme, die dazu dienen sollen, den Shareholder-Value zu maximieren, die insbesondere in Zeiten des Booms gern verwendet werden. Eines dieser Programme trägt den Namen „share buyback program“ (auf Deutsch: Aktienrückkaufprogramme) und ist eine sehr beliebte Methode in Zeiten, in denen Unternehmenslenker wohl keine innovativen Lösungen mehr haben, um ihre Liquidität in sinnvolle Projekte zu investieren. Allein im Geschäftsjahr 2018 haben die 500 größten amerikanischen Unternehmen mehr als 800 Milliarden US-Dollar in Aktienrückkaufprogramme investiert. Im Zeitraum zwischen 2009 und 2018 wurden 4,3 Billionen US-Dollar (52 Prozent des Nettoeinkommens) in Aktienrückkaufprogramme und 3,3 Billionen US-Dollar (39 Prozent des Nettoeinkommens) an Dividenden ausgegeben. Diese Zahlen gelten für die 465 Firmen des S&P 500, die zum Stichtag Januar 2019 im Zeitraum zwischen 2009 bis 2018 an der Börse gelistet waren.
In einer Pressemitteilung vom 7. Mai 2019 teilte die Lufthansa-Gruppe mit, dass in Abstimmung mit dem Aufsichtsrat ein „Aktienrückkaufprogramm“ in Höhe von 10 Prozent des Grundkapitals verwendet werden dürfe. Knapp ein Jahr später könnten diese eingesetzten liquiden Mittel fehlen, um einen „Super-GAU“ – beispielsweise eine Insolvenz oder feindliche Übernahme – zu verhindern.
Die Frage, die gestellt werden sollte, lautet: Wieso kaufen Unternehmen ihre eigenen Aktien zurück? Einerseits werden überschüssige liquide Mittel verwendet, um zuvor emittierte Aktien zurückzukaufen und folglich die Anzahl der Aktionäre zu reduzieren, denen zukünftig eine Dividende ausgezahlt werde müsste. Andererseits werden Aktienrückkaufprogramme vorgenommen, um dem Markt einen substanziellen Anteil der frei verfügbaren Aktien zu entziehen und folglich das Angebot zu verknappen. Daraus wiederum resultiert ein steigender Aktienkurs, da das Angebot künstlich verknappt wird und die Nachfrage nahezu konstant bleibt. Unter dem Gesichtspunkt der Shareholder-Value-Maximierung ist diese Maßnahme – kurzfristig gesehen – ein wünschenswertes Ergebnis. Verbirgt sich dahinter jedoch auch langfristig gesehen eine nachhaltige Strategie?
Angesichts der neuesten Entwicklungen, die in der Corona-Krise zu beobachten sind, ist nun ein guter Zeitpunkt, die Sinnhaftigkeit bestehender finanzwirtschaftlicher Vorgehensweisen zu hinterfragen. Dieser Sachverhalt soll an einem konkreten Beispiel verdeutlicht werden, um auf mögliche ökonomisch-politische Missstände aufmerksam zu machen.
Vor einigen Tagen hat die BBC einen Artikel publiziert mit dem Titel: „US Airlines used up spare cash buying back shares“. Daraus geht hervor, dass die Hauptakteure der US-Fluggesellschaften in den vergangenen zehn Jahren etwa 96 Prozent ihres überschüssigen Bargeldes für Aktienrückkaufprogramme ausgegeben haben. Allein American Airlines hat in den Jahren 2010 bis 2019 12,5 Milliarden US-Dollar ausgegeben, um ihre eigenen Aktien zurückzukaufen. Bei United Airlines sieht die Situation noch dramatischer aus: Hier wurden etwa 80 Prozent des überschüssigen Bargeldes in den Rückkauf von Aktien gesteckt.
Wegen dieser substanziellen Ausgaben seitens der Airlines – um den Aktienpreis einer „Schönheits-OP“ zu unterziehen – und des aktuellen massiven Nachfragerückgangs nach Flugdienstleistungen geraten diese Unternehmen nun in eine Schieflage. Denn die Airlines-Industrie zeichnet sich durch hohe Fixkosten aus wie Leasingverträge oder Personalkosten, denen so gut wie kein Umsatz gegenübersteht, sodass derzeit überdurchschnittlich viele liquide Mittel aus dem Unternehmen herausfließen und somit die Solvenz des Unternehmens massiv bedroht ist.
Zudem warnen zurzeit Experten, dass einige Airlines bis Ende Mai in die Insolvenz schlittern könnten, sofern keine Gegenmaßnahmen ergriffen werden. Aus einem Bericht des Centre for Aviation (CAPA) geht hervor, dass ein Großteil der Fluggesellschaften sich bereits in einem Zustand der technischen Insolvenz befindet beziehungsweise bereits gegen die sogenannten Schuldenklauseln verstoßen haben. Der Bericht zeigt deutlich auf, dass ohne staatliche Interventionen ein Großteil der Airlines dieser Welt Insolvenz anmelden müssen, jedoch aufgrund ihrer gesellschaftlichen und ökonomischen Relevanz „too big to fail“ sind.
Aus ökonomischer Perspektive ist es zwingend erforderlich, dass der Staat in einer solch prekären Situation mit Liquiditäts- und Finanzierungsmaßnahmen gegensteuert, um den Kollaps des Wirtschaftssystems zu vermeiden. Umgekehrt stellt sich die Frage, inwiefern die Unternehmen eine Verantwortung haben, die nötigen Maßnahmen zu ergreifen, um eine wirtschaftliche Schieflage aus eigener Kraft zu überstehen. Die US-amerikanischen Airlines haben bereits bei der US-Regierung um eine finanzielle Unterstützung in Höhe von 50 Milliarden US-Dollar angefragt, um die Insolvenz abwenden zu können. Diese 50 Milliarden US-Dollar sind Geldsummen, die dem Staatshaushalt entnommen werden, folglich zahlt der Steuerzahler die Misere, welche die Konzernleitungen der US-Airlines verursacht haben – und das nur wegen einer kurzfristigen Aktienpreisoptimierung sowie eigener Bonuszahlungen. Die liquiden Mittel, die in den Rückkauf von Aktien geflossen sind, hätten mittelfristig Teile der wirtschaftlichen Schäden abfedern können und in Kombination mit Staatshilfen zu einer weitaus stabileren Situation geführt. Stattdessen wird gewissermaßen der Staat mit der drohenden Insolvenz erpresst, um einen „Bailout“ zu erzwingen.
Welche Alternativen bieten sich nun an, um zukünftig Industrien gegen solche Liquiditätsfallen zu schützen. Über zwei Vorschläge lohnt es sich zu diskutieren:
Die gängige Praxis der Aktienrückkaufprogramme sollte zukünftig nicht mehr dem Zweck der Profitmaximierung der Shareholder sowie der Bonuszahlungen an das Top-Managements dienen. Schließlich werden damit liquide Finanzmittel gebunden, die im Falle einer späteren Krise dringend benötigt werden, um kurz- bis mittelfristige Umsatzrückgänge abfedern zu können. Es kann kein gängiges Geschäftsmodell sein, dass die Profitmaximierung im Krisenfall zu Lasten der Steuerzahler geht.
Mitarbeit: Oliver Franck, akademischer Mitarbeiter am Lehrstuhl für Mobilität, Handel und Logistik und Stanley Smolka, Referent Weiterbildung
Titelbild:
| Nick Heasimenka / Unsplash.com (CC0 Public Domain) | Link
Bilder im Text:
| Joshua Hanson / Unsplash.com (CC0 Public Domain) | Link
| Alex Holyoake / Unsplash.com (CC0 Public Domain) | Link
Beitrag (redaktionell unverändert): Prof. Dr. Wolfgang H. Schulz
Redaktionelle Umsetzung: Florian Gehm