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Professor Dr. Jan Söffner, geboren 1971 in Bonn, studierte Deutsch und Italienisch auf Lehramt an der Universität zu Köln. Nach dem erfolgreichen Studienabschluss promovierte er am dortigen Romanischen Seminar mit einer Arbeit zu den Rahmenstrukturen von Boccaccios „Decamerone“. Die nächsten drei Jahre führten ihn als wissenschaftlichen Mitarbeiter an das Zentrum für Literatur- und Kulturforschung nach Berlin. Zurückgekehrt an die Universität zu Köln, erfolgte neben einer weiteren wissenschaftlichen Tätigkeit am Internationalen Kolleg Morphomata die Habilitation. Jan Söffner übernahm anschließend die Vertretung des Lehrstuhls für Romanische Philologie und Vergleichende Literaturwissenschaft an der Eberhard Karls Universität Tübingen und leitete Deutsch- und Integrationskurse für Flüchtlinge und Migranten an den Euro-Schulen Leverkusen. Zuletzt arbeitete er erneut am Romanischen Seminar der Universität zu Köln und als Programmleiter und Lektor beim Wilhelm Fink Verlag in Paderborn. An der Zeppelin Universität lehrt und forscht Professor Dr. Jan Söffner zur Ästhetik der Verkörperung, zur Kulturgeschichte sowie zu Literatur- und Theaterwissenschaften.
Wie gut ist Deutschland für das digitale Lernen und Lehren gerüstet?
Prof. Dr. Jan Söffner: Die Frage ist nicht, ob dieses Land gut gerüstet ist, sondern, was es bedeuten würde, gut gerüstet zu sein. Die normale Antwort wäre darauf, dass man vor allem gute Softwarelösungen braucht – und das glaubte ich auch noch bis vor einer Woche, als wir an unserer Universität mit unserer fantastischen IT schon (um niemanden nervös zu machen: unbemerkt) versuchten, diese Softwarelösungen zu finden. Heute weiß ich, dass es auf die spezielle Software gar nicht so sehr ankommt, sondern vielmehr auf kreative Lehrende und Lernende, die ihre eigene Ideen haben, auf welche Weise die Lehre am besten funktionieren könnte – und dann den Mut haben, diesen Ideen auch nachzugehen. Wir haben das unfassbare Glück, äußerst kreative Leute an unserer Universität zu haben – und deshalb hat der Umstieg ins Distant Learning mit vielen verschiedenen neuen Formaten und sehr unterschiedlichen Softwarelösungen in kürzester Zeit erstaunlich gut geklappt.
Vor diesem Hintergrund zurück zur Frage: Ist Deutschland gut gerüstet? Solange sich diese Frage sehr ausgiebig stellt und auf die Ausrüstung setzt statt auf die Kreativität, verspielt es paradoxer Weise alles – aber die Frage nach der Gerüstetheit zu stellen, ist leider in der Tat eine sehr deutsche Haltung. Also ist die Antwort: Nein, weil nämlich ja.
Was sind die zentralen „Kulturunterschiede“ zwischen dem Lernen im Verband in der Schule oder an der Universität und dem Lernen in den eigenen vier Wänden?
Söffner: Wenn man mit den kreativen Leuten zusammenarbeiten darf, von denen ich sprach, dann halten sich die Unterschiede in Grenzen. Gute Lehre ist Lehre in Gemeinschaft – egal wie medialisiert diese Gemeinschaft ist. Sobald die Unterschiede zur Präsenzlehre zu groß werden, hat jemand bei der Fernlehre seinen Job nicht gut gemacht.
Digital oder auf Papier, Rechnen mit dem iPad oder auf ausgedruckten Bögen: Wie sollten Schüler und Studenten in dieser Situation am besten lernen?
Söffner: Wie sonst auch: Man muss die Begeisterung verspüren, die ein in gemeinsamer Arbeit entstehender unerwarteter neuer Gedanke auslösen kann.
Welche digitalen Lern- und Lehrformate stehen unserer Universität zur Verfügung und welche nutzen Sie für Ihre Lehre?
Söffner: Unsere IT-Abteilung hat mit großem Erfolg inzwischen etliche Tools und Plugins auf unserer ILIAS-Plattform geschaffen - und für Videokonferenzen auf BigBlueButton umgestellt. Das läuft alles gut. Das Schöne an der ansonsten eher fürchterlichen Situation – als wir unsere Lehre umstellen mussten – war aber: Dadurch, dass wir keine Zeit hatten, mussten alle zunächst einmal mit der Software und den didaktischen Formaten experimentieren, die ihnen selbst am besten passten. Und sie mussten es nicht nur – sie durften es auch. Dadurch haben wir einen sehr reichen und diversen Schatz an Erfahrungen gewonnen, den eine eindeutige Handreichung (wie wir sie mit mehr Zeit natürlich erstellt hätten) zunichte gemacht hätte. Erst allmählich spielen sich die Sachen ein – sowohl die Software als auch die Lehr- und Lernformate. Hoffentlich wird es dadurch nicht langweilig…
Droht die Gefahr, dass durch das Coronavirus Wissensrückstände bleiben?
Söffner: In Zeiten von Corona hört sich diese Frage plötzlich ein bisschen so an, als wären solche Rückstände etwas Ekelhaftes: „Hilfe, da sind noch Rückstände von Wissen, die wir mit dem besten Desinfektionsmittel nicht losbekommen! Die müssen wir dem Robert Koch-Institut melden!“ Insofern würde ich sagen: Ja, es werden ziemlich viele Wissensrückstände bleiben – und das ist auch gut so.
Aber wenn man dieses bewusste Missverständnis mal beiseitelässt, richtet sich die Frage auf irgendein Hintertreffen, in das man durch zu wenig Wissen geraten könnte. Diese Frage kann ich kaum beantworten. Meine Hoffnung ist, dass man in Europa aus dem Modus einer sich so wissend gebenden, in Wahrheit aber oft sehr gedankenlosen Selbstbeweihräucherung herauskommen könnte. Und das würde einem besseren Wissen eher helfen als schaden. Ob das aber auch Europa als Hoffnung und Gemeinschaft helfen würde, wage ich zu bezweifeln. Zumindest kurzfristig ist das nicht zu erwarten – dafür hat man sich nicht solidarisch genug gezeigt. Man ist der Idee Europas gegenüber schwer in Rückstand geraten.
Für wie wahrscheinlich halten Sie es, dass Online-Lern- und Lehrangebote in Zukunft die Schule und die Universität ersetzen?
Söffner: Für mich ist es eine nachrangige Frage, wie die Technik für die Bildung genutzt werden wird. Die wichtigere Frage ist umgekehrt: Welchen Stellenwert werden die Bildungsinstitutionen im Zeitalter der Künstlichen Intelligenz haben?
Titelbild:
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Bild im Text:
| Florian Gehm / Zeppelin Universität (alle Rechte vorbehalten)
Redaktionelle Umsetzung: Florian Gehm