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Josef Wieland ist Inhaber des „Stiftungslehrstuhls für Institutional Economics – Organisational Governance, Integrity Management & Transcultural Leadership“.
Von 1995-2013 war Wieland Professor für Allgemeine BWL mit Schwerpunkt Wirtschafts- und Unternehmensethik an der Hochschule Konstanz für Technik, Wirtschaft und Gestaltung (HTWG) und dort Direktor des Kooperativen Promotionskollegs der HTWG sowie Direktor des Konstanz Institut für WerteManagement (KIeM). Daneben ist er Wissenschaftlicher Direktor des Zentrums für Wirtschaftsethik (ZfW) und Gründer und Vorsitzender des Forum Compliance & Integrity – Anwenderrat für Wertemanagement. Seit 2012 ist Wieland Vorsitzender des Deutschen Netzwerk Wirtschaftsethik (DNWE) sowie Mitglied im CSR-Forum des BMAS. 1999 wurde er mit dem Max Weber Preis für Wirtschaftsethik des BDI und im Jahr 2004 mit dem Forschungspreis des Landes Baden-Württemberg ausgezeichnet.
In seinem neuen Buch untersucht ZU-Prof. Dr. Josef Wieland unter anderem die Auswirkungen von moralischen Regeln und Werten auf die Führung von Unternehmen. Über das Werk "Governance Ethics" heißt es dort: "This book investigates the functioning and effects of moral rules and values as endogenous elements of governance structures when applied to economic and social transactions. The point of departure and framework of this book is Josef Wieland's theory of Ethics of Governance. Its focal point is the governance of the normative aspects of corporations. The Ethics of Governance is a comparative research project on business and economic ethics which started 15 years ago. Divided into five chapters, the book provides a comprehensive insight into the theoretical foundation and application-oriented results of the research project. It covers theoretical, conceptual and practical challenges in the global economy with regard to a sustainable economy, the social responsibility of corporations, and their transcultural and normative management. By offering comprehensive insight into the research results of the Ethics of Governance project, this book provides a unique scientific work on business and economic ethics."
Ihr neues Buch untersucht die Auswirkungen von moralischen Regeln und Werten auf die Führung von Unternehmen. Können Sie die wichtigsten Thesen, für alle die, die nicht in der Materie stecken, einmal kurz zusammenfassen?
Prof. Dr. Josef Wieland: Firmen sind Organisationen der Wirtschaft, aber ihre Aktvitäten haben immer auch eine normative Seite. Integrity und Compliance Management, Corporate Social Responsibility, Nachhaltigkeit, soziale Standards in transkulturellen globalen Wertschöpfungsketten sind Beispiele für die Anforderungen an die moralische Seite des Geschäfts. Unternehmen brauchen daher angemessene Governance-Strukturen, um diese moralische Seite zur Wirkung zu bringen. Das Buch untersucht die Art und den Kontext dieser moralsensitiven Mechanismen in der ökonomischen Wertschöpfung. Welche Wirkungen sie haben, welche Rolle sie in der Wertschöpfung spielen. Dabei geht es dann naturgemäß nicht allein um den 'shareholder value', sondern um shared value für alle Stakeholder. Es ist also eine Aufgabe des Strategischen Managements.
Grundlage für dieses Buch ist Ihre Theorie „Ethics of Governance“, ein vergleichendes Forschungsprojekt, das bereits vor 15 Jahren startete. Können Sie diese Theorie einmal umreißen und ihre Entwicklung erklären?
Wieland: Unternehmen werden darin als Kooperationsprojekte von Ressourceneigentümern verstanden. So wie der Shareholder Kapital einbringt, so bringen andere Stakeholder, etwa Mitarbeiter oder die Gesellschaft, ihre Ressourcen in die Wertschöpfung des Unternehmens ein. Diese Ressourcen können materieller und immaterieller Natur sein, etwa bestimmte berufliche Fähigkeiten, aber auch moralische Werte wie Integrität, Fairness, Ehrlichkeit, Loyalität. Werte werden in der Governanceethik als normative Ressourcen konzipiert, die nicht einfach Handlungsbeschränkungen sind, sondern eine wesentliche Rolle in der Allokation von Ressourcen spielen. Werte, Moral, Ethik werden damit ein endogener Fakor für Allokationslösungen in der Wirtschaft, deren Effektivität und Effizienz von der angemessenen Governancestruktur abhängt. Die Governanceethik ist ein Beitrag zu einer institutionenökonomischen Theorie der Firma, und sie arbeitet multidisziplinär.
In Ihren fünf Kapiteln gehen Sie auch auf die praktischen Herausforderungen ein. Können Sie ein Beispiel anführen, wie sich Ihre Forschungsergebnisse auf die Lage von Unternehmen übertragen lassen?
Wieland: Aktuell beschäftigen sich viele Firmen mit der Frage nach ihrer gesellschaftlichen Verantwortung, also der sogenannten Corporate Social Responsibility. Gleiches gilt für das Integritäts- und Compliance-Management. Die Fragen, die sich hier stellen, sind offensichtlich: Wo ist der Bezug dieser Fragen zur privaten und gesellschaftlichen Wertschöpfung? Welche Konsequnezen ergeben sich daraus für das strategische und operative Management? Wie sehen effektive Managementsysteme aus, mit denen sich diese Fragen abarbeiten lassen? Welche gesellschaftlichen Standards spielen eine Rolle und durch welche Stakeholder-Dialoge kommen sie zustande? Was bestimmt deren Legitimität und was bedeutet das für die Entwicklung von Gesellschaft und Politik? Das Buch diskutiert diese Fragen an einer ganzen Reihe von Themen, und zwar sowohl hinsichtlich ihrer theoretischen Integration als auch ganz praktisch anwendungsorientiert.
Eine Umfrage von „Trade Extensions“ ergab kürzlich, dass 80 Prozent der Verbraucher glauben, dass ethisches Handeln für Unternehmen und Marken wichtig ist. Der wesentliche Faktor beim Einkauf ist jedoch weiterhin der Preis. Wie lassen sich beide Wünsche in der Praxis zusammenführen?
Wieland: Ja, Konsumenten haben hohe moralische Präferenzen, aber nur eine geringe Zahlungsbereitschaft. Solange das so ist, bleibt es der Politik und vor allem den Unternehmen selbst überlassen, hier Anreize für Engagement zu schaffen. Ich denke, das hat ebenso Konsequenzen für Marketingstrategien, Verbraucherkommunikation und Verbraucherbildung. Auch hier sind wir wieder bei einer normativen Frage in einem ökonomischen Kontext.
Ob unmenschliche Arbeitszeiten bei Amazon oder Zalando, unwürdige Produktionsbedingungen bei Primark oder Überwachung am Arbeitsplatz bei Lidl: Unternehmen scheinen Moral und Werte heute herzlich egal. Woher kommt diese Entwicklung und was müssen Unternehmen dringend ändern?
Wieland: Globalisierung hört sich ziemlich modern an, aber häufig bedeutet das für Unternehmen, dass sie mit sozialen Standards konfrontiert sind, von denen wir seit mehr als 100 Jahren annehmen, das wir sie überwunden hätten. Politik und Konsumenten erwarten von den Unternehmen, dass diese mithelfen, diese Bedingungen zu verändern. Zu Recht denke ich, da sie ja Bestandteil der Wertschöfpungsketten von Unternehmen sind. Viele Akteure der Wirtschaft sehen das genau so und engagieren sich: Lieferantenentwicklung, Soziale Standards, Stakeholder Dialogie, Menschenrechtsfragen - das sind heute Standardaufgaben des global sourcing, ohne deren Lösung es für Unternehmen nur schwer möglich ist, sich erfolgreich wirtschaftlich zu entwickeln.
Titelbild: von Lewis W. Hine for the National Child Labor Committee [Public domain], via Wikimedia Commons / http://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Child_laborer.jpg
Bilder im Text: ILO in Asia and the Pacific,
Edinburgh Coalition Against Poverty / flickr.com
Interview-Antworten: Prof. Dr. Josef Wieland
Umsetzung: Alina Zimmermann und Florian Gehm